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Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition)

Titel: Dies beschissen schöne Leben: Geschichten eines Davongekommenen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Altmann
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preschte, denn meist saß er am Steuer. Die Hochgeschwindigkeit als letzte Ekstase des Tages. Dann setzten wir uns an den Tisch mit Monica. Und rauchten Marihuana oder Haschisch. Um friedlich und ruhig zu werden.
    Die Oosterbroeks waren ein schönes Paar. Und »madly in love«. Sagten sie. Und zeigten es. Wie verspielte Welpen schmusten sie. Ich mochte die Nähe der beiden. Kein mürber Eheton verstank das Haus, nein, sie kicherten und redeten klug miteinander. Nichts fehlte. Beide – Monica arbeitete als Journalistin – verdienten passabel, Ken war bereits mehrmals als »best photographer of the country« ausgezeichnet worden. Wer sie sah, beneidete sie. Um das viele Glück, das sie begleitete.
    Und noch etwas gefiel mir, gerade an ihm: Er verschonte seine Umgebung mit dem Geschwätz des Tugendhaften, der sich schneidig vor jede Flinte und jedes Desaster warf, um »der Welt den Spiegel vorzuhalten«. Der Fotograf als selbstloser Aufklärer, um dem Elend der Menschheit Einhalt zu gebieten. Aua. Nein, hundert Mal nein. Er fotografierte aus zwei Gründen: Weil er es meisterlich beherrschte und weil ihn nach Intensität hungerte. Die Aufregung, eben das Adrenalin, begriff er als Grundnahrungsmittel. Wenn seine Bilder nebenbei noch mithalfen, das Leid anderer zu lindern, umso besser.
    Ach, wie erfreulich: Kein Weltenretter ging hier neben mir zur Arbeit. Wir verstanden uns, auch deshalb. Vom ersten Augenblick an. Wie Freunde nach langer Zeit.
    Tief innen misstraute Ken dem Glück, hielt es für den Vorboten des Unglücks. Nie sagte er ein Wort über seine dunklen Gedanken, nur zufällig erfuhr ich davon: Wir saßen abends, irgendwo auf dem Land, in einem Hotelzimmer und das Telefon klingelte. Monica berichtete, dass frühmorgens der Fotograf Abdul Shariff, ein Freund von Ken, erschossen worden war. Umgemäht von einer AK  47. In einer Gegend, in der auch wir gearbeitet hatten. Ken verließ das Zimmer und verschwand. Und kam nicht wieder. Bis ich zwei Stunden später nach ihm suchte und ihn unter einem Baum im Hotelgarten kauern sah. Regungslos. Ich führte ihn zurück und er flüsterte wie unter Hypnose: »Ich weiß es genau, ich werde bald sterben.« Natürlich habe ich den Satz nicht ernst genommen und als pathetisches Gerede abgetan. Heute denke ich, dass er es »wusste«: dass einer, der so oft entkommen war, einmal nicht mehr entkommen würde.
    Wir arbeiteten über die Jahre mehrmals zusammen und unsere Glückssträhne war phänomenal. Wie die Möglichkeiten für mich, etwas zu lernen: über das Land, über seine Bewohner, über die Gewalt und das Leid, die sie einander antaten. Und über die Menschenfreundlichkeit, von der manche nicht lassen wollten. Und über eine Freundschaft, die mit dem Tod von zwei jungen Männern endete.
    Der Reihe nach, denn noch hielt die Phase voller Glück an. Stichwort Men’s hostels , Männerwohnheime, die direkt neben den Stationen der Züge standen. Dort hausten die Zulus, mindestens 50000. Hinter einem Stacheldrahtverhau und gehasst von allen anderen. Einsame Männer, deren Frauen in den fernen Kraals von Kwazulu lebten, dem »homeland«. Eine Art Reservat, einst zugewiesen vom Apartheid-Regime. Die Zulus bildeten die größte Ethnie, sie galten als die tapfersten, schonungslosesten Krieger. Schwarze Arier, die alles Fremde beargwöhnten. Sie wollten keinen Mandela, der zu den Xosa gehörte. Sie wollten keinen modernen Staat, sie wollten auf keine Privilegien verzichten, sie wollten nicht, dass der ANC , der African National Congress , die Wahlen gewann.
    Es dauerte, bis sie uns Zutritt gewährten. Die (weiße) Presse hatte einen schlechten Ruf. Weil sie, so hieß es, die Schwarzen als Bestien hinstellte, die Mord und Totschlag säend über das Land zogen. Im Nancefield Hostel fanden wir einen »chief«, der uns einließ. Die vielen Flachbaracken erinnerten an ein riesiges Zuchthauslager. Auf den Dächern lag der Schrott der letzten Jahre. Autowracks rosteten auf dreckiger Erde, Biersäufer dösten unter einem der wenigen Bäume, Hunde streunten, Ameisen wimmelten über fauligen Tierschädeln. Daneben wurde auf offenem Feuer gekocht, Fett zischte. Einer brutzelte Innereien, ein zweiter rührte einen Kuhmagen um, der dritte wusch in einem Kübel Geschirr. Alle drei baten uns mitzuessen.
    Wir wurden in eine der Bruchbuden gerufen, denn kein Außenstehender sollte von unserer Anwesenheit wissen. Hinter den Mauern sah es nicht wohnlicher aus: Eisenpritschen zwischen

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