Diese eine Woche im November (German Edition)
Zweifel – die Schule, der Klarinettenunterricht, warum so kurzfristig? Herbert blieb hartnäckig und versprach, alles zu regeln.
Vater und Tochter sind zum ersten Mal seit Langem unter sich. Julia ist fünfzehn, ein Mädchen aus Düsseldorf. Sie ist passabel in der Schule, die Trennung der Eltern hat sie ganz gut verkraftet, findet sie. Ab und an lässt sich sogar ein Vorteil daraus ziehen, zum Beispiel beim Taschengeld. Julia nutzt das schlechte Gewissen ihres Vaters manchmal aus.
10 Uhr nachts, aber sie denken noch nicht ans Schlafengehen. Sie streiten.
» Ein Museum pro Tag mache ich mit « , sagt Julia. » Den ganzen Tag Kulturprogramm kommt nicht infrage. «
» Sechs Tage sind kurz, wenn man viel von der Stadt sehen will « , entgegnet ihr Vater. Er trägt eine Anzughose und graue Socken. Anzug im Urlaub? Julia kennt ihn nicht anders. Ihr Vater sieht nicht übel aus für Mitte vierzig. Er hat noch sein volles Haar und hält sich fit. Julia hält ihn trotzdem für eine Schlaftablette.
» Wenn du sämtliche Kirchen abklappern möchtest, bitte sehr. Ich laufe durch die Gassen. Ich will an den Strand. «
» Wie stellst du dir das vor? Du bist fünfzehn. Ich kann dich nicht allein durch eine Stadt wie Venedig ziehen lassen. « Herbert bringt seinen Kulturbeutel ins Bad.
» Ich bin fast sechzehn, Papa. «
» In Venedig gibt es Trickbetrüger, Taschendiebe. « Er kommt zurück. » Es gibt Männer, die ein blondes Mädchen … «
Julia grinst. » Du hast Angst, die Italiener könnten über mich herfallen? Danke, ich kann schon auf mich aufpassen. «
Er schließt den Laptop ans Netz an. » Und wenn dir was passiert? «
» Wir haben Handys. Ich ruf dich an. « Sie bemerkt seinen sorgenvollen Blick. » Vergiss doch einmal, dass du Polizist bist. Die Welt ist nicht nur böse. Die Welt will sich amüsieren. Und ich auch. «
Entschlossen stellt ihr Vater sich vor sie. » Morgen gehen wir in dieses Museum für … für … « Er hat den Namen vergessen.
» Was soll der Laptop? « , fragt sie misstrauisch. » Willst du hier dein Büro einrichten? «
» In dringenden Fällen muss ich erreichbar sein. « Er meidet ihren Blick.
» Entweder du schleppst mich ins Museum oder du willst arbeiten? Wenn das unser Urlaub wird, pfeif ich drauf! « Sie rennt zur Tür.
» Wo willst du hin? «
» In die Hotelbar. «
» Du bist minderjährig. «
» Ich bestelle einen Orangefizz, der ist ohne Alkohol. «
Julia ist draußen, bevor er es verbieten kann. Der Läufer auf dem Korridor schluckt ihre Schritte.
Herbert schaltet den Computer ein. Die Idee war vielleicht doch nicht so gut – Vater und Tochter in einer fremden Stadt. Allein könnte ich mehr ausrichten, denkt er und klickt aufs Logo seiner Dienststelle. Raubdezernat Düsseldorf. Im Augenblick ist es ihm recht, dass seine Tochter das Zimmer verlassen hat. Er muss etwas erledigen, bei dem ihre Anwesenheit stören würde. Herbert greift zum Smartphone und gibt die venezianische Nummer ein.
» Pronto? « , sagt eine Männerstimme.
» Buona sera. Voglio parlare con Signore Gianfranco per favore. « Herbert hat diesen Satz vorbereitet, sein Italienisch ist unterirdisch.
» Sono Gianfranco. Chi chiama? «
» Bene, bene, io sono Herbert Reichelt da Düsseldorf. «
» Herbert! « , sagt die Stimme. » Das ist eine Überraschung, dass du so spät noch anrufst! «
Herbert atmet auf. Man hat ihm angekündigt, dass sein italienischer Kollege einigermaßen Deutsch spricht. » Wie gut, dass Sie mich verstehen, Signore Gianfranco « , antwortet er.
» Chichi. «
» Wie bitte? «
» Alle sagen Chichi zu mir. «
» Also schön – Chichi. Freut mich. Ich bin Herbert. «
» Certo, certo. Wann bist du angekommen? «
» Schon gestern. Ich bin mit meiner Tochter unterwegs, deshalb konnte ich nicht gleich anrufen. «
» Schon klar. «
» Wann können wir uns sehen? «
» Domani. Aber komm bitte nicht in die Questura. «
» Natürlich nicht ins Polizeikommissariat « , antwortet Herbert. » Offiziell bin ich ja als Tourist hier. «
» Nur zu deinem Vergnügen. « Chichi lacht. » Ich schlage la Trattoria Enrico vor, das ist nicht weit von der Piazza San Marco. «
Herbert notiert Adresse und Uhrzeit. » Bis morgen also. Buona notte. «
» Buona notte, Herbert. Viel Spaß mit deiner Tochter. «
Herbert legt auf. Er hat zwar schon die Schuhe ausgezogen, trotzdem will er noch einen Blick in die Bar werfen. Ihm missfällt die Vorstellung, dass seine minderjährige Tochter
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