Diese eine Woche im November (German Edition)
Salamischeiben von der Pizza pulte, damit der Junge sich nicht den Mund verbrannte.
Sie sind sich nah. Es gibt nur zwei Möglichkeiten, Sprechen oder Schweigen. Tonio schweigt. Der Mann bleibt stehen. Kaum merklich hebt er seine Arme, eine Aufforderung voll Scheu und Ängstlichkeit. Tonio stürzt in diese Arme. Er klammert sich an den breiten, schweißnassen Rücken des Vaters, riecht, spürt, fühlt den Atem des geliebten Mannes. Er versteht nicht, was es da zu heulen gibt, weshalb er nicht sofort Julia holt und mit ihr in die Freiheit rennt. Tonio und Rodolfo stehen an diesem ungemütlichsten aller Orte, Flammen schlagen zu ihnen hoch, das Giftgas raubt ihnen den Atem. Sie stehen und umarmen einander. Der Alte drückt ihn, dass dem Jungen fast die Luft ausgeht. Dann schiebt er ihn von sich.
» Los jetzt. « Er nimmt Tonios Hand, will ihn nach drüben ziehen.
Der Junge reißt sich los und rennt zurück. Rodolfo traut seinen Augen nicht, als eine fast genauso nackte Schönheit in der Tür auftaucht. BH und Höschen und ein Paar Schuhe, das ist ihr Outfit. Der Müllfahrer möchte im Moment nicht wissen, warum sein Sohn und die Blonde so spärlich bekleidet sind. Er will raus aus der Hitze, aus der Verbrennungsanlage, nur raus hier. Die Blonde läuft neben Tonio, der Vater übernimmt die Führung. Drei Paar Füße schlagen auf den Metallsteg. Zur Tür, zur Treppe, in die Freiheit.
Die Freiheit ist ein aufgeregter Mann im grauen Kittel, der von Uniformierten umringt wird. Die Freiheit ist ein offenes Tor mit Blechschaden. Tonio sieht Tageslicht und Blaulicht. Ein Berg von Müll liegt mitten im Weg, Teile eines Geländewagens ragen daraus hervor. Eine Tür steht offen, von den Insassen fehlt jede Spur.
Plötzlich durchzuckt Tonio die größte Freude. Dort steht die Ambulanz. Davor eine Bahre, ein Mädchen wird gerade daraufgehoben. Mitgenommen sieht sie aus. Aber sie hebt den Kopf, will sehen, was passiert. Sie hält einen blauen Schal in ihren Händen. Ein Ambulanzmann will ihn ihr abnehmen. Pippa hält den Schal fest.
Tonio hebt den Arm. Auf die Distanz kann sie ihn kaum sehen. Er winkt trotzdem. Und Pippa, die verletzte Pippa, winkt zurück.
Da spürt Tonio eine warme Hand in seiner. Julia ist neben ihm.
» Pippa hat es geschafft « , sagt er.
Sie nickt und lächelt. Beide wenden sich zu dem groben Mann mit dem dichten Bart.
» Das ist mein Vater « , sagt Tonio.
» Ich bin Julia. «
Ganz oben auf der Treppe geben Rodolfo und Julia sich die Hand.
38
E leonora lässt ihren Blick über den Sitzungssaal schweifen. Der riesige Tisch in Form eines Ringes, sechs Meter im Durchmesser. In der Mitte arbeiten die Floristen noch am Blumenarrangement. Die Gladiolen drohen zu verwelken, sie werden ausgetauscht. Rund um den Tisch machen die Sicherheitsleute einen letzten Check. Fünf Uniformierte der Carabinieri mit drei Schäferhunden, dazu mehrere Staatspolizisten in Zivil. Einer murmelt eine Meldung in sein Funkgerät. Die Hunde schnüffeln, laufen unter den Tisch, geben Laut, werden gestreichelt und belohnt.
Eleonora schmunzelt. Sie weiß, dass die Bombenhunde nichts finden. Es ist zu früh. In einer Stunde erst werden sich an diesem Tisch acht der mächtigsten Männer der Welt versammeln. Wenn die Carabinieri ihre Hunde dann reinschicken würden, sähe die Sache anders aus.
Sie schlendert zu ihrem Arbeitsplatz. In gehörigem Abstand zum Konferenztisch wurde eine künstliche Wand errichtet. Dahinter sitzen die Sekretäre. Sie verwalten die Unterlagen, auf die die Regierungschefs zugreifen, wenn sie auf komplexe Fragen zur rechten Zeit die richtige Antwort geben wollen. Eleonoras Chef, der italienische Ministerpräsident, ist ein Fanatiker, wenn es um Details geht. Darum will er zu jedem Zeitpunkt mit den Fachleuten seiner Ministerien in Verbindung stehen. Das ist Eleonoras Job. Über den Knopf im Ohr des Ministerpräsidenten versorgt sie ihn mit den gewünschten Informationen. Seit Längerem ist sie für verschiedene Gremien der Regierung tätig. Präsidenten kommen und gehen, tüchtige Assistentinnen bleiben im Amt. Eleonora spricht fünf Sprachen fließend, sie hat europäisches Recht und Wirtschaft studiert, man hält sie für unentbehrlich. Sie fährt ihren Computer auf Stand-by, alles ist vorbereitet.
Wirklich alles, denkt Eleonora und spürt nun doch ein nervöses Kribbeln im Bauch. Die Aktion verlief bis jetzt so reibungslos, dass man misstrauisch werden könnte. Der große Moment steht kurz bevor. In
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