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Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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Rücksitz seines Wagens. Dann zog er aus der Innentasche seines Sportsakkos ein dünnes Heftchen, das er Loan mit Nachdruck entgegenhielt.
    »Hier. Ein Zeichen für Miss Grace’ Dankbarkeit.« Er ging um die Nase seines Wagens herum, stieg ein und fuhr weg.
    Lone Boy stand auf dem erhöhten Gehweg vor dem ›Save-Our-Way‹-Supermarkt unter dem Magnesiumgleißen seiner Leuchtstoffröhren und beobachtete den vorüberziehenden Abendverkehr. Er wußte, ohne einen Blick auf das Heft zu werfen, daß der Agent ihm – auf Grace Rineharts Geheiß und mit ihrer vollen Komplizenschaft und Zustimmung – ein Vorab-Exemplar der Juni-Ausgabe von Daredevil gegeben hatte.
    Dreißig Silberlinge waren es nicht, dachte Lone Boy. Aber es genügte wohl. Es genügte …
     
    »Wissen Sie, wann mir klar wurde, daß ich alt werde?« fragte Mr. Kemmings am nächsten Morgen in der Tierhandlung. ›Mein bester Quetscher‹ streckte sich träge zu einem ausgiebigen Nachtisch-Nickerchen.
    »Nein, Sir«, sagte Cal; er war mit seinen Gedanken eigentlich weder bei Mr. K.s Frage noch bei Quetschers Trägheit.
    »Es muß das Begräbnis von Lias Mutter gewesen sein, was mich daran erinnert hat, Pickford. Ich war auf zu vielen Beerdigungen, und jede erinnert mich an all die anderen. Jedenfalls – ich glaube, das erstemal wußte ich, daß ich alt werde, als Keith, unser Sohn, ungefähr vierzehn war.
    Wir hatten keine Zentralheizung. Wir benutzten – ich benutze sie immer noch – Raumheizer, Marke Dearborn, die entweder Stadtgas oder Propan verbrennen, je nachdem, wo man wohnt. Wenn man so ein Heizgerät einschaltet, nimmt es die Kälte aus der Luft, aber auch alle Feuchtigkeit. Menschen, die viel im Zimmer sind, haben am Ende vertrocknete Schleimhäute und wunde Hälse.«
    Cal hörte seinem Geplapper abwesend zu, während er Zeckenhalsbänder und Fischfutter in die Regale räumte.
    »Um nun ein bißchen Feuchtigkeit rings um uns herum zu behalten, stellten wir ein Pfännchen mit Wasser auf den Sims vor den Gasflammen. Das funktionierte. Nur, wenn es wirklich kalt war und die Flammen hochschlugen, daß die Ofensteine sich orange färbten, na, dann verdunstete das Wasser in dem verdammten Pfännchen ziemlich schnell. Man mußte dauernd mit dem Teekessel herumlaufen, um es nachzufüllen. Wurde ’ne richtige Qual.«
    »Kann ich mir denken«, sagte Cal und dachte: Was soll das, Mr. K.? Was wollen Sie mir da erzählen?
    »Und so wollte ich mal, daß Keith es machte. Ich saß vor dem Fernseher und wollte nicht aufstehen, und ich muß wohl gedacht haben, ein gehorsamer Junge würde sich auch als Hausdiener einsetzen lassen. Aber Keith schaute ebenfalls fern, und er wollte es auch nicht tun. Man mußte ja nicht nur den Kessel aus der Küche holen und die Pfanne vollgießen, man mußte das blöde Ding auch wieder zurückbringen. Man mußte zweimal gehen, und die Diele dazwischen war kalt.
    Keith maulte und murrte, als ich ihn aufforderte, aber rasch genug ging er los. Als er jedoch aus der Küche zurückkam, hatte er keinen Kessel bei sich. Er trug einen Haufen Eiswürfel in beiden Händen, und gerade als ich losbrüllen wollte: ›He, Junge, was treibst du da?‹, warf er die Eiswürfel – klanketi-klanketi – in die Wasserpfanne und kam wieder zu mir, um weiter fernzusehen.
    Ich war drauf und dran, ihn auszuschimpfen, als ich dachte: Wofür? Das hat einigen Erfindungsreichtum gefordert. Ich wäre nie drauf gekommen. Aber Keith war es sofort eingefallen: Eine Methode, Wasser in die Pfanne zu bekommen, ohne zweimal gehen zu müssen. Und nur ein frischer Verstand – so sagte ich mir – konnte auf eine solche Idee kommen. Ich selbst, ich marschierte auf die Senilität los, und mir blieb nichts weiter übrig, als Keiths Cleverness zu bestaunen.« Bei der Erinnerung lachte Mr. K. leise und beifällig.
    Aber, dachte Cal, der Kleine ist seit siebzehn Jahren tot; er hat nicht mal seinen zwanzigsten Geburtstag erlebt. Die Historie ist eine gottverdammte Kinderfresserin. Eine unersättliche Verschlingerin der Tapferen, der Vertrauensvollen und der Jungfräulichen.
    »Sie und Lia fühlen sich heute wohl?« fragte Mr. Kemmings plötzlich.
    »Ja, Sir. Uns fehlt nichts.« Cal hatte bereits beschlossen, seinen Boss nicht mit der Geschichte von dem Einbruch oder Vikes ungerechtem Schicksal zu belasten, und mit Mühe hielt er den Mund und widerstand auch den fürsorglichen Fragen des Mannes. Er wußte, Mr. K. hatte sich in den letzten paar Wochen angewöhnt, ihn als

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