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Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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Ersatzkind zu betrachten, und Cal verspürte vor Mr. Kemmings ebenfalls echten Respekt wie vor einem Vater.
    Gegen elf klingelte das Telephon, und Mr. K. sagte: »Ja, er ist hier. Moment. Ich sage ihm, er soll den anderen Hörer abnehmen.« Mit einer scheuchenden Gebärde schickte er Cal in den kombinierten Büro- und Lagerraum im hinteren Teil des ›Pet Emporium‹.
    Cal ging hinein. Er nahm den Hörer ab und drückte auf einen blinkenden Knopf.
    »Ich erneuere unser Angebot«, sagte die Anruferin. »Werden Sie Vormann auf Berthelot Acres, und ich vergesse Ihre törichte Zurückweisung von gestern. Die beiden törichten Zurückweisungen, genauer gesagt.«
    Jetzt kommt’s, dachte Cal. Jetzt kommt’s!
    »Hallo?«
    »Ich bin hier«, sagte Cal.
    »Und die Lage hat sich geändert, nicht wahr? Ihre illegale Samisdat-Sammlung ist in meiner Hand. Belastenderweise enthält sie einen Brief von Ihnen an den Autor. Der Besitz solchen Materials verstößt gegen den verschärften Grundrechtekatalog. Ein Verstoß gegen das Bundesgesetz, der mit drei bis fünfzehn Jahren Gefängnis bestraft wird, je nach Umfang und Natur der Konterbande selbst.«
    »Philip K. Dick ist ein geachteter amerikanischer Schriftsteller.«
    »Sie legen sich wieder mit mir an, Mr. Pickford. Diese Reputation beruht auf dem, was er vor Nixon geschrieben hat. Leider aber wurden die Bücher, die Sie besitzen – oder besaßen –, später geschrieben, in einem aufrührerischen, feindseligen Geist, als der Autor emotional scheiterte und intellektuell zerfiel. Sie haben keinen Verlag mehr gefunden, und niemand gibt vor, daß sie irgendeinen literarischen Wert haben.«
    »Ich gebe vor, daß sie einen haben. Nur, daß gar nichts Vorgebliches daran ist. Es fehlt ihnen an Status in den Augen derer, die den Status Quo bewahren, weil sie in herausfordernder Weise gegen das Establishment geschrieben sind. Wütend, nicht sanft. Leidenschaftlich, nicht kühl. Roh, nicht raffiniert. Ausgeflippt, nicht rational.«
    »Das ist eine sehr hübsche Rede, Mr. Pickford. Haben Sie sie aus einem ›Lexikon der Synonyme und Antonyme‹ abgeschrieben?«
    Cal schwieg. Das hatte er nicht, aber es mußte so geklungen haben. Und auf hübsche Reden, ob originell oder abgekupfert, ob von Herzen kommend oder geheuchelt, kam es auch nicht an. Grace Rinehart hatte ihn da, wo sie ihn haben wollte, nämlich – und zur Hölle mit der Hexe! – in ihren und Hirams Klauen!
    »Noch da, Mr. Pickford?«
    »Yeah, ich bin noch da. Wann soll ich anfangen?«
    »So bald wie möglich. Kündigen Sie noch heute.« Sie hängte ein.
    »Warum, verfluchte Scheiße, mußten Sie unseren Hund umbringen?« fragte Cal den toten Hörer. Dann legte er auf und lehnte sich an die Wand. Er zitterte am ganzen Leib.
    Nach einer Weile kam Mr. Kemmings nach hinten, um nach ihm zu sehen. »Alles in Ordnung, Cal?«
    »Mr. Kemmings, ich fürchte, ich habe einen neuen Job gefunden.«
    Der alte Mann – zwei Jahrzehnte älter als damals, als sein verstorbener Sohn ihm beigebracht hatte, daß man Eiswürfel tragen konnte – sah einen Moment lang aus wie betäubt. Dann faßte er sich und nickte.
    »Ich wußte, daß ich Sie verlieren würde. Sie sind auf dem Weg nach oben. Aber keine Sorge. Sie gehen mit meinem Segen. Ich bin dankbar, daß ich Sie hatte, solange ich Sie hatte.«
     
    Grace Rineharts Cadillac parkte auf dem kiesbedeckten Halbrund eines Aussichtsplatzes im Roosevelt State Park; die beiden Insassen schauten hinaus auf das baumbestandene Schachbrett von Pine Mountain Valley. Es war das erstemal, daß Lia die Schauspielerin seit Miss Emilys Beerdigung wiedersah. Sie wußte, daß Grace die Anweisung zu Vikes Ermordung und dem Diebstahl von Cals Dickiana gegeben hatte, und deshalb haßte sie sich, weil sie dieser Fahrt zugestimmt hatte. Eine Frau mit Courage hätte Miss Grace schon gesagt, wohin sie sich das alles schieben konnte. Jedenfalls würde sie nicht in ihrem Auto sitzen und ihr zuhören, wie sie die seelische Fracht ihrer Kindheit ablud.
    »Sie machen sich keine Notizen«, sagte Miss Grace. »Bei unserer ersten Sitzung haben Sie sich Notizen gemacht.«
    Lia bedachte ihre Klientin mit einem böswilligen Blick. Heute, dachte sie, bin ich diejenige, die sich ausblendet. Ich verschwinde vom luftigen Ast meiner Selbstachtung wie die Cheshire-Katze. Warum? – Weil ich nicht den Mumm habe, deinen tyrannischen Schikanen zu widerstehen.
    »Ich möchte, daß Sie sich Notizen machen.«
    Lia wühlte in ihrer Handtasche

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