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Dieser Mann ist leider tot

Dieser Mann ist leider tot

Titel: Dieser Mann ist leider tot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Bishop
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der amerikanischen Literatur.«
    Ich habe mit einem Toten gesprochen, denkt Lia. Vielleicht auch mit der Seele von Cals totem Dichter, in ihren Auferstehungskörper gekleidet – wie Christus nach Kreuzigung und Begräbnis. Zusätzlich zu dem Geld, das Kai mir gezahlt hat, habe ich seine Stimme auf Tonband. Ein unwiderleglicher Beweis für mein Gespräch mit ihm.
    »Cal …«
    »Laß mich weiterhören.«
    »Mir ist kalt. Ich ziehe mich an. Warum kommst du nicht …«
    »Mach nur.«
    Die Pest soll dich holen, denkt Lia. Vom Homo erectus zum Homo deflectus in weniger als fünf Minuten.
    Wütend schiebt sie sich an ihrem Mann vorbei; sie geht ins Schlafzimmer und zieht frische Unterwäsche, Bluejeans, dicke Socken und einen schweren Pullover an. Sie sammelt Schlüssel, Kleingeld, eine Büroklammer und noch ein paar andere Dinge ein, die sie in die Hosentaschen steckt. Als sie ins Bad zurückkehrt und zu Cal hineinschaut, sitzt er da wie Rodins Denker, schlaksiger vielleicht, aber genauso versunken, völlig vertieft in ihre Sitzung mit dem ›Mann, der verdunstete‹.
    Zeit vergeht. Band läuft ab.
    Mit großen Augen hebt Cal den Kopf und murmelt: »Er hat gesagt, ich bin der Grund, weshalb er zu dir gekommen ist. Er sagt, vielleicht bin ich sogar die Linse, die seine Stereographie fokussieren wird.«
    »Das weiß ich. Hast du eine Ahnung, wieso?«
    »Nein. Nicht die leiseste.«
     
    Zum Abendessen machte Lia Tomatensuppe und Käsetoast; Cal hätte sich gern darüber beschwert, daß er heute noch nichts anderes als ein bißchen Blaubeerjoghurt gegessen hatte, aber er wußte, daß er besser den Mund hielt.
    »Was fangen wir jetzt an?« fragte er.
    »Ich will nichts mehr davon hören, kein einziges Wort mehr. Ich bin dem nicht gewachsen.«
    Ich hätte mit ihr ins Bett gehen sollen, dachte Cal. Ich hätte ihr den Rücken einseifen sollen und sie küssen und sie abtrocknen und ins Schlafzimmer schleppen und sie ficken sollen, bis keiner von uns mehr einen klaren Gedanken hätte fassen können. Wenigstens soviel Spaß hätten wir aus diesem beschissenen Tag noch rausholen können. Mein großer Fehler war, daß ich sie hab laufenlassen, als sie mir mit ihren liebevollen Küssen und Hüftbumsern sagte: Nimm mich, nimm mich wie die Heldin in einem schundigen Bestsellerroman. Sie wollte ebenso viel Trost wie Sex, aber du hast ihr keinen Trost gegeben und selbst keine Befreiung gefunden. Jetzt sind wir beide so zu wie zwei Muscheln. Und nichts ist geklärt.
    »›Philip K. Dick – dieser Mann ist leider tot‹«, rezitierte er impulsiv.
    »Was?«
    »Das ist die erste Zeile einer Elegie, die ich heute für ihn geschrieben habe.«
    »Du hast für Phil Dick eine Elegie geschrieben?«
    »Na ja, gewissermaßen. Ich meine, es ist kein …« (Cal, jetzt hast du dich den Händen deiner härtesten Kritikerin ausgesetzt; sie wird dir den Kopf waschen.)
    »Wie geht der Rest? Weißt du’s noch?«
    Na los! ermunterte Cal sich. Sag’s auf und bring’s hinter dich, sonst löchert sie dich den ganzen Abend! Laut sagte er: »›Philip K. Dick – dieser Mann ist leider tot, / Einen Tritt in den Arsch verdienst Du dafür, lieber Gott.‹«
    Lia starrte ihn an, und ein Löffel Suppe verharrte auf halber Strecke zwischen Teller und Mund. Dann sagte sie: »Weiter!«
    »Das war’s. Das ist alles.«
    »Die erste Zeile ist okay, aber die zweite ist abscheulich. Ehrfurchtslos um der Ehrfurchtslosigkeit willen. Solcher Scheiß ist typisch für Teenager oder gestörte Erwachsene.«
    »Das ist eine psychologische Interpretation.«
    »Was für eine hast du denn gewollt?«
    »Wie wär’s mit einem unvoreingenommenen ästhetischen Urteil?«
    »So ein Tier gibt’s nicht, Cal.«
    »Ein Jahrzehnt in Colorado konnte deine verklemmten südstaatlichen Baptistenvorurteile wohl nicht restlos auslöschen, wie?«
    »Was du nie begreifen wirst, Pickford, ist die Tatsache, daß ich mich nicht aufrege, weil dein blöder Vers mit dem ›Tritt in den Arsch, lieber Gott‹ mir gegen den Strich geht. Ich rege mich auf, weil er dich erniedrigt.«
    »Du lieber Gott. Was du nie begreifen wirst, ist die Tatsache, daß ich es nicht geschrieben habe, um respektlos zu sein, sondern um meine Wut und Frustration über einen ungerechten Tod zum Ausdruck zu bringen. Existentielle Empörung, nicht Respektlosigkeit, ist die Triebkraft hinter dieser Zeile.«
    »Bla bla bla.«
    »Aber du hast mir ein psychologisches Urteil vorgesetzt, kein literarisches. Ein von kleinstädtischer

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