Dieser Mann ist leider tot
Religiosität gefärbtes Urteil.«
Worauf Lia antwortete: »Wir sollten hier wirklich zur Kirche gehen, Cal. Das wünsche ich mir seit dem Tag unserer Ankunft.«
»Du lieber Gott.« – Ich? dachte Cal. In einen Betstuhl der Baptistenkirche gequetscht. Ich würde meinen Indianerzopf in den Hemdkragen stopfen müssen. Der stört sogar Mr. Kemmings, und die Leute in der Baptistengemeinde werden sich noch schwerer damit abfinden können als er. Aber vielleicht triffst du Gott wirklich da drüben. In Georgia muß er irgendwo in der Nähe der Baptistenkirchen herumhängen. Es gibt einfach zu viele von den verdammten Dingern, als daß er sie ignorieren könnte.
»Du lieber Gott«, imitierte Lia ihn. Sie löffelte ihre Tomatensuppe.
»Lia, ich will ja nicht versuchen, meine Elegie zu publizieren.«
»Gut. Du würdest auch keinen finden, der sie nimmt. Und wenn, würden die Kritiken dich demütigen.«
»Danke.« Er löffelte seine schaumige Suppe. Gleich darauf sagte er: »Du, ich hab heute morgen ein Paar Breschnew-Bären verkauft. An eine Lady, die wissen wollte, ob ich schon mal Ärger mit den Behörden gehabt habe.«
Lia richtete sich auf. »Was hast du ihr gesagt?«
»Ich habe sie belogen und nein gesagt. Hat mir aber ’ne Scheißangst eingejagt. Sie wollte wissen, wieso ein Bursche in meinem Alter in einer Tierhandlung arbeitet, und mir fiel, während ich ihren Wagen belud, nichts anderes ein als zu sagen, ich sei mit einer Psychologin verheiratet, die in Warm Springs arbeitet. Ich hab ihr sogar deinen Namen genannt.«
»Okay. Und?«
»Vielleicht kommt sie mal bei dir vorbei.«
»Wahrscheinlich nicht.«
»Aber ich befürchte, daß sie noch mal in die Tierhandlung kommt.«
»Warum?«
»Weil sie mir bekannt vorkam. Ich hätte wissen müssen, wer sie war. Und nach dieser verrückten Phil-Dick-Geschichte können wir nichts Ungewöhnliches unüberprüft lassen.« (Beispielsweise die Tatsache, daß ein Aufpassergorilla Mr. K.s Laden ausbaldowerte, bevor die Lady auch nur einen Fuß hineinsetzte.)
»Du mußt die verdammten Fotokopien seiner Romane wegschmeißen.«
»Und du mußt dein Tonband wegschmeißen.«
»Nein.«
»Dann schmeiße ich die Kopien auch nicht weg.«
Lia stand auf und fing an, den Tisch abzuräumen.
Viking, der das Klirren und Klappern hörte, kam aus dem Wohnzimmer; er setzte sich hinter sie und wartete auf Reste.
»Ich bringe die Teller«, sagte Cal und stand auf. Das ist das Mindeste, was du tun kannst, Cowboy, sagte er sich.
»Die lassen wir stehen, bis wir zurückkommen.«
»Zurückkommen? Von wo?«
»Von meiner Mutter.«
»Hast du sie nicht besucht, bevor du nach Hause kamst?«
»Konnte ich nicht. Ich war zu durcheinander. Den Nachmittag über bin ich durch die Geschäfte am Ort gestreift. Um mich abzulenken von … du weißt schon. Wenn wir jetzt gehen, sind wir um halb zehn wieder zu Hause.«
Gott, dachte Cal; die Pflicht ruft. Und endlos schleppen wir uns durch die Welt und folgen müde ihrem Rufen …
Emily Bonner, Lias Mutter, hatte ein halbprivates Zimmer im Ostflügel des Eleanor-Roosevelt-Pflegeheims in Warm Springs. Der Unfall, bei dem Jim Bonner, Lias Vater, ums Leben gekommen war, hatte Emily schwer verkrüppelt. Sie konnte mit dem Rollstuhl durch die Korridore des Heims fahren, aber sie begrüßte die, die zu ihr zu Besuch kamen, nicht immer mit Freuden. Cals Erfahrungen mit Emily seit der Wiederansiedlung in Georgia waren alles andere als angenehm gewesen, wahrscheinlich weil sie ihn vor dem Unfall nur von Fotos und Telefonaten gekannt hatte. Wenn er sagte: »Hallo, Mom, wie geht’s?«, wich sie zurück, riß die Augen auf und antwortete: »Mir geht’s prima. Ich bin noch nicht bereit, zu gehen. Warum fliegst du nicht zurück zu Gott und sagst Ihm, ich bin hier glücklich?« Cal war nur eine einzige Schlußfolgerung eingefallen: Miss Emily hielt ihn für den Engel des Todes – eine paranoide Reaktion, die ihn zögern ließ, sie weiter zu besuchen.
Cal und Lia parkten vor dem Pflegeheim und ließen Vike auf dem dunklen Rücksitz hin- und herlaufen.
Sich dem Unvermeidlichen fügend, betraten die Bonner-Pickfords das Gebäude im Gleichschritt und gingen den Gang hinunter zu Emilys Zimmer. Cal fragte sich, weshalb Lia nicht kurz hier hatte vorbeifahren können, bevor sie nach Hause gekommen war, und Lia fragte sich, wieso ihr Bruder es nicht hatte einrichten können, daß ihre Mutter auf dem Gestüt eine Unterkunft gefunden hatte. Gleichwohl besuchte Lia
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