Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
drehte ich mich zu Stevie um, der zwei Plätze neben mir saß, zeigte sie ihm und sagte: »Keine Sorge, Stevie. Das sage ich nicht wegen dir. Guck mal hier, sie ist wirklich schwarz.«
Ich wollte nämlich nicht, dass er mich falsch versteht und wegen mir traurig wird, aber die anderen Kinder aus der Klasse fingen wieder an, ihn auszulachen. Die Ersatzlehrerin schimpfte mit mir und schickte mich zur Strafe ganz alleine ins Klassenzimmer zurück.
»Ich habe doch gar nichts getan«, versuchte ich ihr zu erklären, aber sie wollte davon nichts wissen. Durch die Glaswand, die das Klassenzimmer von der Küche trennte, hörte ich, wie sie über mich lästerten und mich wieder »Gregmeyer« nannten. Ich setzte mich auf das Sofa, klemmte mir ein Kissen vor den Bauch und weinte. Weil mich niemand sehen konnte, musste ich meine Tränen wenigstens nicht verstecken. In der großen Pause ging ich in die Aufenthaltshalle, um zu kickern. Ich merkte aber schon auf dem Weg dorthin, dass mir schwindelig wurde, und steuerte, etwas wacklig auf den Beinen, auf die Sitzkissen zu, die neben der Bücherei auf dem Boden lagen. Ein paar Jungs aus meiner Klasse gemischt mit älteren, die ich nicht so gut kannte, saßen auf der langen Holzbank gegenüber. Als sie mich sahen, stand einer von ihnen auf und zeigte mit dem Finger auf mich.
»Wehe, du setzt dich da hin!«, drohte er mir. »Wir wollen dich hier nicht. Es kann dich niemand leiden. Wieso stirbst du nicht endlich? Dann sind wir dich los. Und jetzt, verzieh dich, du Gregmeyer !«
Ich hatte Angst vor ihnen, weil sie zu siebt waren. Ich ging zurück ins Klassenzimmer, klemmte das Kissen wieder vor meinen Bauch und versuchte, an einen bunten Regenbogen zu denken, aber ich schaffte es nicht. Drei Punkte gingen mir durch den Kopf:
Ich hasse die Schule.
Mein Leben ist so ungerecht.
Warum ist Lars nicht hier, um mich zu beschützen?
Nach der Schule musste ich ins Hospiz, aber als ich um 19 Uhr endlich nach Hause kam, schrieb ich schnell an meine Facebook-Pinnwand, damit es die ganze Welt lesen konnte:
Lieber Lars,
wir haben uns gefunden. Ich hab Dich lieb, mein Held. Immer wenn ich ins Krankenhaus muss, bist Du gleich bei mir. Und wir können immer Blödsinn machen, ob ich krank bin oder nicht krank. Uns beide kann man nicht auseinandernehmen und das ist gut.
Viele liebe Grüße von Deinem kleinen Bruder Daniel
Stunden, Tage, Nächte vergingen, aber ich nahm kaum etwas von ihnen wahr. Es fühlte sich wie Schweben an, aber nicht wie in den schönen Träumen, in denen ich nach oben zu den Wolken flog. Ich befand mich in einer Art Schattenwelt, in der man zwar alles hören konnte, was um einen herum passierte, aber trotzdem alles wie im Nebel verschwommen und unsichtbar blieb. Das Monster war auch da. Ich konnte es nicht sehen, aber ich fühlte seine Nähe. Zum ersten Mal hatte ich keine Angst vor ihm. Anna und Josi lagen neben mir im Bett, um mir zu helfen. Sie sprachen mir Mut zu. Vor allem Anna. Ihre Kindheit war auch nicht einfach. Es tat gut, meine beiden Freunde in diesem Moment um mich zu wissen. Mama hatte mit meinem Kinderarzt telefoniert. Die Tagesdosis meiner Betablocker musste erhöht werden, weil mein Herz immer mehr an Kraft verlor. Ich war nun auf der höchsten Dosierung angekommen, die für Kinder erlaubt war. Der Tag war also gekommen, vor dem sich Mama so lange gefürchtet hatte. Mir war es egal.
Was mich viel trauriger werden ließ, war, dass Lars nicht neben mir saß, um im Krankenhaus meine Hand zu halten. Ich war sehr enttäuscht deswegen. Er ließ mich im Stich, obwohl ich ihn gerade jetzt so sehr brauchte. Mama erinnerte mich daran, dass Lars mit einer schweren Grippe wieder seit Tagen krank im Bett lag und deswegen nicht nach Hamburg kommen konnte, um bei mir zu sein. Lars hatte sich gar nicht gut angehört am Telefon, das stimmte schon, aber an den Rest konnte ich mich nicht mehr erinnern.
Die Untersuchung tat weh.
Ich bekam wieder Schläuche in den Arm, aus denen mein Blut lief. Es war schön rot. Ich hielt durch. Wie ein kleiner Samurai. Mein Schwert trug ich, wie es sich für einen echten Krieger gehört, an meinem Gürtel, nur dass meines unsichtbar war. Allein Josi und Anna konnten es sehen. Und ich natürlich. Im Raum der Stille betete ich für meinen toten Freund Vincent und schickte ihm Herzensgrüße in den Himmel. Herzensgrüße sind Grüße, die man nicht einfach nur so ausspricht, sondern die wirklich von Herzen kommen. Ich entschuldigte mich bei
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