Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
erzählt hatte. Ich rannte in mein Zimmer, aber weil ich lieber bei Lars sein wollte, rannte ich weiter in sein Zimmer. Ohne anzuklopfen. Er lag in Jogginghose und T-Shirt auf dem Bett und hatte seine Augen geschlossen. Selbst als ich mich zu ihm aufs Bett setzte, öffnete er sie nicht.
»Na?«, sagte ich.
»Na«, sagte er.
»Darf ich zu dir kommen?«, fragte ich.
»Bist doch schon da«, sagte er.
»Ja«, sagte ich wieder.
Ich schaute nach oben an die weiße Decke.
»Dicke Luft?«, fragte Lars.
»Und wie«, sagte ich.
»War auch schwer zu überhören.«
»Ich hasse meine Mama!«
»Nein, das tust du nicht.«
»Doch, sie ist voll blöd.«
»Glaub mir, das denkt jeder einmal über seine Mutter. Das ist normal. Du verhältst dich taktisch einfach unklug. Guck mal, aus ihrer Sicht war das heute ein richtiger Scheißtag: Sie steht extra früh auf, um mit dir ins Krankenhaus zu fahren, und du lässt dich nicht mal untersuchen. Sie muss jetzt mit den Ärzten einen neuen Termin ausmachen und sich dafür vielleicht wieder einen halben Tag freinehmen. Dann nimmst du deine Tabletten nicht und drückst ihr im Gegenzug einen frechen Spruch rein. Du kennst doch deine Mutter und weißt, wie sie reagiert.«
»Ja, aber …«
»Nee, kein Aber. Du kannst keine Scheiße bauen, frech sein und dann auch noch erwarten, dass deine Eltern cool bleiben. Verstehst du?«
»Nein«, sagte ich.
Lars hatte seine Augen immer noch geschlossen. Er musste wirklich sehr müde sein.
»Deine Mama macht sich Sorgen um dich. Das weißt du doch, oder?«
»Kann sein.«
»Ja, das weißt du. Und weil sie dich so lieb hat, möchte sie, dass du deine Tabletten nimmst, weil du sonst nämlich bald die Grätsche machst. Und darauf haben wir alle keinen Bock, verstanden?«
»Ja«, sagte ich.
»Wirklich?«
»Keine Ahnung.«
»Hast du deine Tabletten denn jetzt schon genommen?«
»Nein.«
»Vorschlag: Du gehst in die Küche, schluckst den ganzen Scheiß runter und sagst deiner Mutter folgenden Satz: Mama, es tut mir leid. Ich hab dich lieb. Dann kommst du mit einem Block und einem Stift zurück zu mir, und wir schreiben die Liste.«
»Was denn für eine Liste?«
»Deine Wunschliste«, sagte Lars. »Du weißt schon, worüber wir in der Schule gesprochen haben.«
»Das machen wir jetzt?«
»Ja, das schreiben wir jetzt auf, damit wir nichts vergessen und unsere Abenteuer gut planen können.«
»Krass!«
»Aber zuerst hast du noch was zu erledigen. Was sagst du zu deiner Ma?«
»Mama, es tut mir leid. Hab dich lieb.«
»Sehr gut«, lachte Lars, der jetzt zum ersten Mal seine Augen öffnete. »Und jetzt zisch ab, du kleiner Gauner!«
»Mama, Mama«, rief ich voller Aufregung und Vorfreude, »wo bist du? Hab dich lieb, hab dich lieb, hab dich lieeeeeeb.«
5
Meine Wunschliste:
• mal ohne doofe Aufpasser zu sein (Mama, Krankenschwester, Lehrer)
• nach Berlin fahren (und bei Lars schlafen)
• in einem tollen 5-Sterne-Hotel übernachten und beim Zimmerservice so viel Schnitzel mit Pommes und Cola bestellen, wie ich möchte
• ein fremdes Mädchen küssen
• ein Mädchen nackt sehen
• einem Mädchen unters T-Shirt fassen (aber nur, wenn sie mag)
• einen Liebesbrief schreiben und abschicken (aber nur, wenn ich wirklich verliebt bin)
• mich verlieben
• neues Handy (iPhone 4)
• mit einem coolen Sportwagen durch die Gegend fahren (Lars fährt, ich darf schalten)
• Autofahren lernen
• die besten Spaghetti carbonara der Welt essen
• Party machen ohne Mama, aber mit Mädchen
• Leute verarschen
• eine Zigarette rauchen
• ganz lange wach bleiben
• mit einer geilen Limousine durch die Stadt fahren
• in Clubs gehen
• ganz viel alkoholfreies Bier/Sekt trinken und dazu Chips und Gummibärchen essen
• neue Spiele für die Wii ausleihen oder kaufen
• coole Klamotten und Schuhe bekommen
• einen eigenen Song aufnehmen (wie ein echter Popstar)
• alles, was mich zum Lachen bringt (Lars weiß bestimmt ganz viel)
• Mama endlich wieder von Herzen glücklich sehen
Zuerst hatte ich aufgeschrieben: »Noch meinen sechzehnten Geburtstag erleben«. Aber dann fiel mir auf, dass ich darauf keinen Einfluss habe, und strich es wieder durch. Ich war begeistert von meiner Wunschliste, weil dort nur Sachen draufstanden, die mir Spaß machten. Darum ging es ja, hatte Lars mir erklärt: »Du bist der Boss, du kannst entscheiden.« Als er mir den Block aus der Hand nahm, um sich alles noch einmal durchzulesen,
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