Dieses bescheuerte Herz: Über den Mut zu träumen (German Edition)
kam in mein Zimmer und fragte, was es dort zu suchen hatte, und ich sagte: »Wenn ich der Grund bin, warum du so oft weinen musst, dann habe ich das BlackBerry nicht verdient.«
Ein Pupskissen, um Papa zu ärgern.
8
Lichtstrahlen fielen durch mein Fenster und weckten mich. Muh war schon wach sah mich an, aber ich wollte lieber aus dem Fenster sehen. Ich holte mir ein großes Glas Apfelwasser aus der Küche, nahm die Medikamentenbox mit ins Wohnzimmer und schluckte meine Feinde runter. Da alle noch schliefen, und ich niemanden mit dem Fernseher wecken wollte, kuschelte ich mich zurück ins Bett. Unter der Decke war es noch schön warm. Mama muss während der Nacht in mein Zimmer gekommen sein, weil das BlackBerry wieder auf meinen Schreibtisch lag. Sie fühlte sich wohl besser, wenn es bei mir war. Ich freute mich darüber. Morgen wird Lars abreisen, ging es mir durch den Kopf, und diese Vorstellung machte mich sehr traurig. Ich überlegte, was ich dagegen tun könnte, aber mir fiel lediglich ein, ihn in meinem Zimmer anzubinden, aber das würde Mama nicht erlauben und wäre auch nicht sehr nett. Ich wünschte mir einfach, dass er schnell wiederkommt. Insgeheim hoffte ich, er hätte auch für mich eine Fahrkarte nach Berlin, aber das würde Mama schon gar nicht erlauben. Es war Samstag, und Lars und ich konnten machen, was wir wollten. Mama war abends mit ihrer Gothik-Freundin im Grünspan verabredet. Sie gingen auf ein Konzert, und das bedeutete, dass wir nur Papa austricksen mussten. Das war einfach. Am liebsten wollte ich ins Kino gehen und Billard spielen und vorher noch mit dem Bus ins ELBE fahren, abhängen und nach Mädchen gucken.
Ich sprang wieder aus meinem Bett, klappte meinen Laptop auf und hoffte, dass mir jemand geschrieben hatte, aber über dem Symbol für Nachrichten leuchtete keine rote Zahl auf und damit stand fest, dass niemand an mich dachte. Ich surfte eine Weile auf Facebook und landete bei dem Foto eines hübschen Mädchens. Sie hatte brünette Haare und ein wunderschönes Lächeln. Diese Amanda würde ich gerne mal küssen, lächelte ich in mich hinein, trank von meinem Apfelwasser und drückte auf »Gefällt mir«. Dann fragte ich mich, was dieses R.I.P vor ihrem Namen Amanda Todd bedeutete und fand heraus, dass sie ganz traurig war und sich deswegen umgebracht hat. R.I.P bedeutet nämlich, dass jemand tot ist. Das wusste ich vorher nicht. Die Arme hat sich das Leben genommen, weil sie in der Schule gemobbt und geschlagen wurde. Sie ließ alles über sich ergehen, bis sie irgendwann keine Kraft mehr hatte. Ich fühlte mit ihr. Ich weiß, wovon ich spreche, denn ich wurde auch jahrelang gehänselt und von meinen Mitschülern verprügelt. Bevor ich auf die Behindertenschule wechselte, ging ich in eine Schule für gesunde Kinder, aber die mochten mich nicht, weil ich anders war. Damals hatte ich jeden Tag Angst, in die Schule zu gehen. So wie Amanda. Sie war doch erst fünfzehn, wie ich. Ich ging in die Küche und holte ein Teelicht aus der Schublade, stellte es auf meinen Schreibtisch und zündete es an.
»Liebe Amanda«, betete ich. »Hier ist Daniel aus Hamburg. Ich hoffe, dass es dir jetzt besser geht und du mit den Engeln auf einer Wolke sitzt und Tee trinkst. Ich hab dich lieb.«
Dann weinte ich, bis ich nicht mehr konnte. Vielleicht ist es gut, dass ich nie erwachsen werde, dachte ich, zog meine Kopfhörer über und hörte mein Lieblingslied von Peter Maffay. Ich sang leise den ganzen Text mit, weil ich ihn ja auswendig kann.
Ich wollte nie erwachsen sein
hab’ immer mich zur Wehr gesetzt.
Von außen wurd’ ich hart wie Stein
und doch hat man mich oft verletzt.
Irgendwo tief in mir bin ich ein Kind geblieben.
erst dann, wenn ich’s nicht mehr spüren kann,
weiß ich, es ist für mich zu spät,
zu spät, zu spät.
Unten auf dem Meeresgrund
wo alles Leben ewig schweigt
kann ich noch meine Träume seh’n
wie Luft, die aus der Tiefe steigt.
Irgendwo tief in mir bin ich ein Kind geblieben.
erst dann, wenn ich’s nicht mehr spüren kann,
weiß ich, es ist für mich zu spät,
zu spät, zu spät.
Ich gleite durch die Dunkelheit
und warte auf das Morgenlicht.
Dann spiel’ ich mit dem Sonnenstrahl
der silbern sich im Wasser bricht.
Irgendwo tief in mir bin ich ein Kind geblieben.
erst dann, wenn ich’s nicht mehr spüren kann,
weiß ich, es ist für mich zu spät,
zu spät, zu spät.
Das Herbstlaub an der Bushaltestelle leuchtete rot
Weitere Kostenlose Bücher