Dieses heiß ersehnte Glueck
glauben. Sie hatte tiefe Schatten um die Augen, und ihr Kleid war voller Fettflecken. Er wußte, daß niemand in dieser Wildnis wohnte, und wußte auch, daß hier in der Nähe ein Räubernest existierte. Wenn jemand versuchte, sich hier niederzulassen, hatte er in der Regel sein Leben verwirkt.
Doch Leah erzählte ihm eine Geschichte von einer Witwe mit sieben Kindern, die hier in der Nähe wohnen sollte. Im Augenblick war er zu schwach, um aufstehen und herausfinden zu können, wo sie diesen Tag tatsächlich verbracht hatte. Aber wenn er ihr verstörtes Gesicht betrachtete, wußte er, daß sie ihm nicht verraten wollte, was sich hier wirklich abspielte.
»Das sieht dir wieder mal ähnlich«, sagte er, sich zu einem kleinen Lächeln zwingend. »Du mußt dich ja immer um die Probleme anderer Leute kümmern.«
»Du ... du hast nichts dagegen?« fragte Leah und hielt den Atem an. Würde er ihr tatsächlich glauben und sich nicht seine Wunde wieder aufreißen, indem er aufstand und sie suchte?
»Leah«, sagte er sanft, »bin ich denn so ein Tyrann gewesen, daß du Angst hattest, ich zwänge dich, bei mir zu bleiben? Ich wollte eine Witwe mit sieben Kindern dem sicheren Tod überlassen? Glaubst du, ich wäre dazu fähig?«
»Nein ... ich war mir nur nicht sicher, wie du es aufnehmen würdest. Du scheinst nicht so sehr verwundert zu sein, wie ich zunächst glaubte. Ich machte mir Sorgen, weil ich dich allein in der Hütte zurücklassen mußte.«
Du wolltest den Tag nicht bei mir in der Hütte verbringen, weil du Angst hattest, es könnte etwas passieren, dachte Wes. Trotzdem nahm er ihre Hand und küßte deren weiche Innenseite. »Kannst du hierbleiben oder mußt du zurück in das Haus der Witwe?«
Sie fürchtete sich vor dem langen Weg, den sie nun zum zweitenmal im Dunkeln zurücklegen mußte. Aber sie fürch-tete sich auch davor, bei Wes in der Hütte zu bleiben. Revis mochte vielleicht nach ihr suchen. »Ich muß zurück! Kommst du allein zurecht?« Sie stand schon auf.
»Ich werde dich vermissen; aber ich werde es überleben. Schau zu, daß du wenigstens ein paar Stunden schlafen kannst. Mit meiner Wunde in der Seite kann ich ja kaum etwas andres tun als schlafen.« Seine Stimme schien ganz brüchig vor Müdigkeit zu sein.
»Ja«, murmelte Leah und ging, ehe der Mut sie wieder verließ und sie bei ihm blieb.
»Teufel«, fluchte Wesley, sobald sie die Tür hinter sich zugemacht hatte. In was für einer Patsche steckte sie denn jetzt? Erst stahl sie sich mitten in der Nacht davon, um sich mit diesem Nichtsnutz zu treffen, der ihr Lager entdeckt hatte, und am nächsten Tag war sie dann so nervös wie eine Klapperschlange. Dann knallte es, und während ich fast verblute, schlägt sie mit den Fäusten auf diesen Schuft ein, der mir die Kugel verpaßt hat. . .
Er hatte den ganzen Tag im Bett verbracht, hatte die Sachen gegessen, die ihm jemand hingestellt hatte, und auf die Rückkehr seiner Frau gewartet. Und als sie kam, sah sie zehn Jahre älter aus als am Tage zuvor und war zu Tode verängstigt.
Was, zum Henker, war hier los?
Die Hand gegen seine bandagierten Rippen drückend, schwang Wesley sich aus dem Bett. Obwohl er viel Blut verloren hatte, war seine Verletzung nicht so schwer; und er hatte sich absichtlich darum bemüht, Leah rasch wieder loszuwerden, ehe sie seine Wunde inspizieren würde. Wenn sie meinte, ihn belügen zu können, so konnte er das auch! Deshalb hatte er sich kränker gestellt, als er tatsächlich war.
Draußen legte er den Kopf auf die Seite und lauschte in die Nacht hinein. Er hörte, wie sich Leah einen Weg hangabwärts durch die Büsche bahnte. Wenn sie glaubte, ein Geheimnis hüten zu müssen, stellte sie sich nicht sehr geschickt dabei an.
Als er sich entschloß, ihr zu folgen, hörte er zu seiner Linken wieder ein Geräusch. Es war also noch jemand in ihrer Nähe, und den schweren Schritten nach zu schließen, mußte das der Hüne sein, der nachts bei ihm am Lager gewesen war. Er verfolgte Leah wie ein Schatten, ohne daß sie es zu merken schien.
Lautlos schlüpfte Wes nach links hinüber und hob auf dem Weg dorthin einen dicken Ast auf. Bei der Größe dieses Mannes brauchte er schon einen gewichtigen Gegenstand, um dessen Aufmerksamkeit zu erregen.
Auf der Fährte von Leah und dem Riesen wanderte Wesley ziemlich lange durch den nächtlichen Wald, ehe er vor der Blockhütte am Rand der Lichtung anhielt. Schweigend sah er zu, wie Leah zur Hintertür der Hütte ging und wie
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