Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
Vom Netzwerk:
Wir sind so gut wie pleite, Glynis. Seit meinem achtzehnten Lebensjahr habe ich – haben Jackson und ich – sechzig Stunden die Woche gearbeitet, manchmal mehr, und wir haben aus dem Nichts diese Firma aufgebaut. Seit dem Verkauf war ich – waren Jackson und ich – die Handlanger eines fetten, nichtsnutzigen und komplexbeladenen Exmitarbeiters, der uns nicht ausstehen kann. Unterdessen haben wir beide nicht gerade in Saus und Braus gelebt, und jetzt tut es mir leid, dass ich dich nicht öfter zum Essen ausgeführt habe, als du noch Appetit hattest. Aber alles, was ich verdient habe, und alles, was wir zusammengespart haben, Glynis – ist weg. Mein Konto bei Merrill Lynch ist leer. Ich hab keine Ahnung, ob ich das Geld für die nächste Miete aufbringen geschweige denn noch eine Rechnung für eine Chemotherapie zahlen kann. Und noch was, was ich dir noch nicht erzählt habe: Ich bin heute entlassen worden, Glynis. Ich hab keinen Job mehr. Ich hab kein Gehalt mehr, das heißt, wir sind jetzt nicht mehr krankenversichert. Also geht die nächste Chemo zu hundert Prozent auf mich. Wir stehen vor dem Bankrott. Vielleicht denkst du, du hast eine ungefähre Ahnung, wie ich mich fühle. Du nimmst wahrscheinlich an, dass es mir peinlich ist. Aber es ist mir nicht peinlich. Ich bin wütend. «
    Die finanzielle Misere schien auf Glynis wenig Eindruck zu machen, seine Wut hingegen schon. »Nicht wirklich«, staunte sie. »Na, das wird aber auch mal Zeit.«
    »Jackson –«, Shep hielt inne, um sich zu berichtigen. Er wollte nicht weinen, oder doch, er wollte schon, aber er wollte nicht erklären müssen, warum. Es fiel ihm schwer, den Namen auszusprechen, wobei genau das wichtig zu sein schien. »Jackson lässt sich von der ganzen Ungerechtigkeit runterziehen. Es frisst ihn auf. Und das ist schade. Aber das, was er über die Welt denkt, ist nicht total verrückt. Wenn nur du dich an die Spielregeln hältst und die anderen nicht, bist du der Dumme. Wenn man sein Leben auf die Reihe kriegt, denken sich die Leute, dass man, wenn man schon dabei ist, auch gleich deren Leben mit auf die Reihe kriegen soll. Jackson hat uns bis zum Abwinken erklärt, dass Leute wie er und ich ausgenutzt werden. Wir werden bestraft. Allein für den Verkauf vom Allrounder habe ich 280 000 Dollar Kapitalgewinnsteuer an den Staat abgedrückt. Zähl mal dazu, was ich diesen Wichsern seit der Highschool ausgehändigt habe, dann sind das zwischen einer und zwei Millionen Dollar. Und das ist derselbe Staat, der meiner Frau, wenn sie an Krebs erkrankt, nicht mal eine einzige Paracetamol bezahlt. Genauso weigert er sich, für meinen alten Vater zu sorgen, obwohl auch der sein ganzes Leben lang in das System eingezahlt hat – nur weil er, genau wie ich, ein verantwortungsbewusstes Leben geführt hat und nicht mittellos ist. Jackson hat recht. Es ist nicht fair. Und ich glaube, dass es ihm nicht recht ist, wenn wir das alles einfach hinnehmen. Vielleicht zollt man einem wirklich guten Freund am besten damit Tribut, dass man ihm ein Mal richtig zuhört, ihn … ein Mal ernst nimmt, anders als sonst, wie ich zu meiner Beschämung sagen muss.«
    Sheps Verwendung der Gegenwartsform war ein Anachronismus, aber Jackson lässt und Jackson denkt ging ihm relativ leicht über die Lippen; die Verbform diente nicht allein zur Verschleierung. Es hatte Jahre gedauert, bis sein Vater aussprechen konnte, dass Sheps Mutter eine gute Köchin gewesen sei , dass sie unermüdlich für seine Gemeinde gearbeitet habe . Für die Lebenden, die von keinem anderen Zustand einen Begriff haben, war die Verwendung der Vergangenheitsform eine Disziplin, eine obendrein unnatürliche Grammatik, die man zunächst erlernen musste.
    »Mein Vater würde natürlich sagen, es ist doch nur Geld«, fuhr Shep fort. »Vielleicht denkst du genauso, wo die einzige Währung in deinem Leben im Moment deine Gesundheit ist. Aber ohne Geld kann ich das Dach über deinem Kopf nicht behalten oder die Heizung im Februar auf zweiunddreißig Grad aufdrehen oder dich im Auto in die Klinik fahren. Außerdem will ich ja nicht ›zynisch‹ sein, aber – was ist mit dir? Ich muss danach weiterleben, und sei es, um für unseren Sohn zu sorgen. Ich habe auch immer versucht, für dich zu sorgen, so gut ich konnte, aber jetzt bitte ich dich um eine Gegenleistung.«
    »Soll ich wieder anfangen, Gussformen für Schokohasen zu machen?«
    Er lächelte. Es waren schon Pulitzer-Preise für geringere Leistungen vergeben

Weitere Kostenlose Bücher