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Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition)

Titel: Dieses Leben, das wir haben: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lionel Shriver
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aufgefallen, dass ich leichenblass war. Diesen Fräser habe ich nie wieder angefasst. Er liegt in meinem Werkzeugkoffer, und in den Rillen sind immer noch die eingetrocketen Blutflecken.«
    »Aber diese Spritzenparanoia. Die wird doch wahrscheinlich nachlassen. Wenn man so was ständig über sich ergehen lassen muss.«
    »Bisher jedenfalls nicht. Aber es ist so irrational, Shepherd. Ich werde gleich ausgenommen wie ein Fisch, und alles, an was ich denken kann, ist ein kleiner Stich.«
    »Vielleicht«, sagte er vorsichtig, »konzentrierst du dich ja auf die irrationale Angst, um nicht an die rationalen Ängste denken zu müssen.«
    Sie legte ihm die Hand auf den Oberschenkel, und die Berührung war ihm so willkommen, dass ihm kalte Schauer über den Rücken liefen. »Du hast zwar nie studiert, mein Schatz. Aber manchmal bist du sehr klug.«
    Shep setzte den Wagen in die Spur Richtung Saw Mill River Parkway und staunte, dass sie sich gestern nichts zu sagen gehabt hatten und jetzt offenbar so viel zu sagen hatten und in zu knapper Zeit. Er sah schon, wie diese leere, verschwendete Muße, gefolgt von verzweifeltem, zu spätem Aktionismus, schnell zu einem Muster für ihre Zukunft werden könnte.
    »Ich glaube, ich hab dir das noch nie erzählt«, sagte er. »Ich kann mich nicht mehr erinnern, was ich da gesehen habe … vielleicht eine dieser gerichtsmedizinischen Sendungen wie CSI. Ein Team von Pathologen war bei einer Autopsie. Der Gerichtsmediziner sagte, man könne der Leiche ansehen, dass die Frau in ihrem Leben viele Situps gemacht hat. Keine Ahnung, ob die Szene realistisch war, aber seitdem kriege ich sie nicht mehr aus dem Kopf. Die Vorstellung, dass man nach dem Tod feststellen kann, ob jemand ins Fitnessstudio gegangen ist. Beim Fitness habe ich manchmal die Vision, dass ich einen Unfall habe und die Ärzte im Leichenschauhaus meine Bauchmuskulatur bewundern. Ich will für meine vielen Bauchpressen gewürdigt werden, selbst als Leiche.«
    Glynis lachte. »Das ist ja lustig. Die meisten Leute machen sich Sorgen, ob ihre Unterwäsche sauber ist.«
    »Das ist wohl normal – als Chirurg muss man ja wahrscheinlich alle möglichen Leute operieren, die katastrophal aussehen. Alte Leute, an denen alles runterhängt, dicke Leute, Patienten, die total unsportlich sind. Ich wüsste gern, ob es sie stört, ob sie sich ekeln, oder ob es ihnen egal ist. Aber dein Körper ist so schlank. Perfekt proportioniert und durchtrainiert.«
    »In letzter Zeit habe ich ein paar Step-Aerobic-Stunden ausfallen lassen müssen«, sagte sie trocken.
    »Nein, lebenslange Selbstachtung – das geht nicht weg. Ich will nur sagen, ich bin etwas eifersüchtig, dass dich jemand so berührt. Dich so ansieht, Teile deines Körpers sieht, die ich niemals sehen werde. Aber ich bin auch stolz. Wenn es ihnen irgendetwas bedeutet, werden diese Ärzte jedenfalls eine schöne Frau operieren, und sie werden sich privilegiert fühlen.«
    Während er geradeaus auf die Straße sah, spürte er, wie sie neben ihm lächelte. Sie nahm seine Hand. »Ich glaube nicht, dass Ärzte den menschlichen Körper so sehen wie wir. Und ich weiß auch nicht, ob Organe wirklich ›schön‹ sind. Aber trotzdem lieb von dir.«
    Er parkte den Wagen, begleitete sie zum Empfang und war gerührt und erleichtert, dass Glynis ihn offenbar so lange wie möglich dabeihaben wollte. Sie war keine Frau, die bereitwillig ihre Bedürfnisse eingestand. Er füllte die Formulare aus, wobei er mit Freude feststellte, dass er endlich ihre Sozialversicherungsnummer auswendig konnte. Sie unterschrieb die Einverständniserklärung. Sie warteten zusammen. Ihr Schweigen war nicht mehr leer und ohnmächtig. Es war eine dichte Stille, tief und samtig, die Luft zwischen ihnen wie warmes Wasser.
    Er stand mit ihr auf, stellte sich den Schwestern vor, legte ihre Sachen zusammen, während sie sich umzog. Dann half er ihr, den Kittel zuzubinden. Dann warteten sie wieder. Er war froh über das Warten; er hätte ewig so weiterwarten können. Endlich traf Dr. Hartness ein. Er war ein drahtiger Mann, der etwas von einem Buchhalter hatte; selbst sein Haar war trocken. Shep saß auf ihrer Bettkante, während der Chirurg in einem leiernden, unbeteiligten Ton, in dem man auch die komplizierte Montageanleitung für ein Mitnahmemöbel vorlas, die Prozedur noch einmal erklärte. Da er inzwischen vertraut war mit der Denkweise à la »Teil A kommt in Schlitz B«, fühlte sich Shep nicht angegriffen, schließlich

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