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Diesseits Des Mondes

Diesseits Des Mondes

Titel: Diesseits Des Mondes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Asta Scheib
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besaß außer unglaublich vielen Nachttöpfen und Klosettschüsseln auch ein Hochrad. Manchmal kamen Kamerateams von Fernsehanstalten, und dann fuhren junge Männer in altfränkischen Kostümen auf dem Hochrad. Zuerst fuhren sie wacklig, dann sicher und elegant auf der Straße umher. Sah Krug die Kameraleute arbeiten, die Statisten auf dem Hochrad sich mühen, dann trieb es ihn in der Regel schuldbewusst an seinen Schreibtisch. Antrieb zur Arbeit bekam Krug am ehesten, wenn er andere arbeiten sah.
    Im Moment, als Krug sich telefonisch Archivmaterial über Punks bestellen wollte, sah er Sharon aus der Tizianstraße kommen. Sie lief rasch durch den Regen. Vor dem Gartentor schüttelte sie ihr Haar und suchte in der Tasche nach dem Schlüssel. Rasch rannte Krug ins Bad, nahm ein großes Frottiertuch und brachte es Sharon, als sie durch den Flur kam. Sie lachte überrascht, wickelte geschickt ihr Haar ein und stieg dann die Treppe hinauf, sah über die Schulter zu Krug. IhrBild schien sich in seine Augen einzubrennen. Am Ende der Treppe muss Schluss damit sein, sagte sich Krug, aber bis dahin wollte er leiden. Diese Sanftheit, die Sharon ausstrahlte, hatte sie früher nicht gehabt. Es war Krug, als könne er in Sharons Augen eine Geheimschrift lesen.
    Er wollte Sharon von ihrer Sehnsucht ablenken. Daher fragte er sie, ob sie heute Abend eine seiner Niederlagen erleben möchte. Er müsse aus seinem Buch
Siegfried
lesen. Sharon überlegte kurz. Ja, sie möchte mitkommen, es war noch so viel Zeit, bis sie um elf Uhr ins Number Six fahren musste. Sie verabredeten, dass Krug sie nach der Lesung dann in die Bar fahren würde.
    Als Krug mit Sharon aus der Tür trat, umspülte sie die Luft wie eine Welle reinen, frischen Wassers. Krug warnte Sharon, nicht in das Gras am Straßenrand zu treten. Es hieße Eulen nach Athen tragen, sagte er grimmig, wenn wir Hundedreck von Nymphenburg nach Schwabing transportieren würden. Mit graziösem Schwung übersprang Sharon die Grasfläche, winkte aus dem Auto zu den Müttern hinauf, die aus dem Fenster schauten. Krug sagte, dass er seine Mütter nicht mehr mitnehme zu Lesungen. Sie würden zischen wie Schlangen, wenn im Publikum jemand sich zu reden getraue.
    Wie immer vor einer Lesung versuchte Krug sich vorzustellen, was für Leute kommen würden und wie viele. Aus Selbstschutz rechnete er ohnehin nur mit höchstens zehn Zuhörern. Er erzählte Sharon eine Geschichte, die Martin Walser ihm einmal zum Trost geschildert oder erfunden hatte: Walser war in seinen frühen Schriftstellerzeiten zu einer Lesung nach Kölngereist, die in einem Pfarrsaal am Roncalliplatz stattfinden sollte. Zehn Minuten vor der Lesung traf Walser ein und fand den Pfarrer, seine Haushälterin und eine Bibliothekarin vor. Dazu kamen noch drei, vier, fünf ältere Damen. Allseits verlegene Blicke, Schulterzucken, es schlug die volle Stunde, Walser setzte sich ans Lesepult. Draußen grollte Donner, es blitzte, dann setzte prasselnder Regen ein, der in dichten Schleiern vor dem Fenster niederfiel. Die Tür des Pfarrsaals öffnete sich, immer mehr Menschen flüchteten herein, blieben schließlich zur Lesung, was Walser als sein Wunder vom Roncalliplatz bezeichnete.
    Die Mitglieder und Gäste des Anemonen-Kreises saßen im Weißen Lamm um den hufeisenförmigen Tisch. Michael Krug las lieber in Buchhandlungen oder Bibliotheken, da konnten die Zuhörer kein Essen bestellen wie hier, wo die Bedienung ihn, Krug, als Störenfried ansah. Schon als Krug die Drahtglastür mit dem schweren Griffbalken aufstieß, bereute er es, Sharon mitgenommen zu haben. In der Kneipe roch es nach abgestandenem Feierabend. Das Toupet des Vereinsvorsitzenden beschleunigte Krugs Talfahrt in die Niederungen seiner Stimmung. Doch Krug musste es hinter sich bringen. Er schlug sein Buch auf, von dem der Vorsitzende eilig sagte, dass es erst kürzlich erschienen sei. Er hatte offenbar ein distanziertes Verhältnis zur Wahrheit, denn Krugs Buch war schon letztes Jahr zur Buchmesse erschienen, nur hatten es noch nicht viele Leser bemerkt.
    Während Krug las, nahm sein Blick gegen seinen Willen alles wahr, was seine Zuhörer unternahmen, um die Zeit herumzubringen. Sie erschlugen die Zeit, die Krug verlas, auf unterschiedlichste Weise.
    Ein Mann im Trachtenjanker schlief rasch ein. Sicher hatte er daheim Mühe mit dem Einschlafen, und bei Dichterlesungen klappte es. Seine Frau neben ihm, ebenfalls in Trachtenkleidung, schob entspannt die Nagelhaut über

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