Diesseits vom Paradies
verdammtes Pech.« Er saß entfernt von ihr, lehnte am anderen Ende des Sofas, aber sie konnte seine Augen deutlich im Dunkeln sehen.
»Natürlich werden wir uns wiedersehen – Dummkopf.« Eine fast unhörbare Betonung lag auf dem letzten Wort, so dass es beinahe zärtlich klang. Mit leicht rauher Stimme fuhr er fort:
»Ich hab mich schon in viele Leute verliebt – in Mädchen, mein ich –, und ich nehm an, du auch – in Jungen, mein ich – aber, ernstlich, du…«, er brach plötzlich ab und beugte sich vor, das Kinn auf die Hände gestützt: »Ach, es hat ja doch keinen Sinn – du gehst deinen Weg und ich vermutlich meinen.«
[106] Ein Moment Schweigen. Isabelle war aufgewühlt; sie knüllte ihr Taschentuch zu einer festen Kugel und ließ es in dem schwachen Licht, das sie umflutete, absichtlich auf den Boden fallen. Ihre Hände berührten sich für einen Augenblick, doch keiner sprach. Immer stärker und süßer wurde das Schweigen. Draußen war ein anderes verirrtes Paar aufgetaucht und klimperte auf dem Klavier im Nebenraum. Nach dem üblichen Anfang mit Chopsticks spielte einer der beiden Babes in the Woods, und in hellem Tenor drangen die Worte in das Kabinett:
Give me your hand –
I’ll understand
We’re off to slumberland.
Isabelle summte leise mit und erschauerte, als sie spürte, wie Amorys Hand die ihre umschloss.
»Isabelle«, flüsterte er. »Du weißt, dass ich verrückt nach dir bin. Du machst dir doch auch ein bisschen was aus mir.«
»Ja.«
»Wie viel denn – magst du irgendeinen anderen lieber?«
»Nein.« Er konnte sie kaum verstehen, obwohl er sich so nahe zu ihr hinbeugte, dass er ihren Atem an seiner Wange spürte.
»Isabelle, ich gehe jetzt für sechs lange Monate aufs College zurück – warum sollten wir nicht – wenn ich nur etwas von dir hätte, an das ich mich erinnern könnte…«
»Schließ die Tür…« Ihre Stimme war nur ein Hauch, und fast war er unsicher, ob sie überhaupt gesprochen hatte. Als er die Tür schloss, schien die Musik draußen zu erzittern.
[107] Moonlight is bright,
Kiss me good night.
Was für ein wundervolles Lied, dachte sie – alles war wundervoll an diesem Abend, und am wundervollsten diese romantische Szene im Kabinett, mit ihren ineinander verschlungenen Händen und ihren Silhouetten, die sich im Dunkeln immer näher kamen. Ihr Leben breitete sich als unendliche Folge solcher Szenen vor ihr aus: im Mondlicht unter blassem Sternenhimmel, auf den Rücksitzen behaglicher Limousinen und in niedrigen, gemütlichen Roadsters, die unter schützenden Bäumen geparkt waren – nur der Junge würde ein anderer sein, und dieser hier war so süß. Er nahm sanft ihre Hand. Mit einer plötzlichen Bewegung drehte er sie um, hielt sie an die Lippen und küsste ihre Handfläche.
»Isabelle!« Sein Flüstern verschmolz mit der Musik, und sie schienen näher aufeinander zuzutreiben. Ihr Atem ging schneller. »Darf ich dich nicht küssen, Isabelle – Isabelle?« Mit halbgeöffneten Lippen wandte sie ihm im Dunkel den Kopf zu. Plötzlich hörten sie Stimmengewirr und das Geräusch schneller Schritte näher kommen. Blitzschnell griff Amory hinauf und drehte das Licht an, und als die Tür sich öffnete und drei Jungen, darunter auch der zornige und tanzwütige Froggy, hereingestürzt kamen, blätterte er in den Magazinen, die auf dem Tisch lagen, während sie vollkommen unbefangen in heiterster Ruhe dasaß und die Eindringlinge sogar mit einem freundlichen Lächeln willkommen hieß. Doch ihr Herz schlug wie wild, und sie hatte das Gefühl, als sei ihr etwas Kostbares vorenthalten worden.
Es war offensichtlich vorbei. Es wurde lautstark nach [108] einem Tanz verlangt, sie wechselten einen schnellen Blick – der seine verzweifelt, der ihre bedauernd –, und dann ging der Abend weiter wie zuvor, mit den inzwischen beruhigten Schönlingen und dem ewigen Abklatschen.
Um Viertel vor zwölf schüttelte Amory ihr ernst die Hand, inmitten einer kleinen Gruppe, die sich versammelt hatte, um ihm eine gute Reise zu wünschen. Einen Augenblick lang verlor er sein Gleichgewicht, und auch sie schien etwas verwirrt, als die spöttische Stimme eines unsichtbaren Witzboldes rief: »Nimm sie mit nach draußen, Amory!«
Er nahm ihre Hand und drückte sie ein wenig, und sie gab den Druck zurück, wie sie es an diesem Abend bei zwanzig anderen Händen getan hatte – das war alles.
Als sie um zwei Uhr morgens wieder im Haus der Weatherbys waren, fragte Sally, ob sie
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