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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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ich halte es für sehr bedeutsam. Ich möchte alle Einzelheiten hören. Alles, was du getan hast, seit wir uns zuletzt gesehen haben.«
    Und Amory erzählte; berichtete ausführlich, wie seine egoistischen Höhenflüge kläglich gescheitert waren, und binnen einer halben Stunde war alle Lustlosigkeit aus seiner Stimme verschwunden.
    [154] »Angenommen, du verlässt das College – was hättest du dann vor?«, fragte Monsignore.
    »Keine Ahnung. Ich würde gern reisen, aber dieser lästige Krieg macht das unmöglich. Und außerdem wäre meine Mutter ziemlich wütend, wenn ich kein Examen machte. Ich hänge einfach in der Luft. Kerry Holiday will, dass ich mit ihm rübergehe und in die Lafayette Esquadrille eintrete.«
    »Aber du weißt doch genau, dass das nichts für dich wäre.«
    »Ich bin nicht so sicher – heute Abend zum Beispiel würde ich auf der Stelle mitgehen.«
    »Ich glaube doch, dass du dazu noch nicht lebensmüde genug bist. So gut kenne ich dich mittlerweile.«
    »Ich fürchte, Sie haben recht«, räumte Amory zögernd ein, »es schien mir nur eine gute Möglichkeit, aus allem rauszukommen – wenn ich mir noch so ein sinnlos vertrödeltes Jahr vorstelle.«
    »Ja, ich weiß schon; aber um die Wahrheit zu sagen, ich mache mir gar keine Sorgen um dich; du scheinst dich völlig normal zu entwickeln.«
    »Nein«, widersprach Amory. »Mir ist im letzten Jahr irgendwie meine Persönlichkeit abhanden gekommen.«
    »Nicht im Geringsten!«, spottete Monsignore. »Dir ist eine Menge Eitelkeit abhanden gekommen, das ist alles.«
    »Oje. Jedenfalls kommt’s mir vor, als hätte ich noch mal die fünfte Klasse in St. Regis durchgemacht.«
    »Nein.« Monsignore schüttelte den Kopf. »Das war ein Unglück; aber dies hier ist eine gute Sache. Was jetzt an Wichtigem auf dich zukommt, passiert nicht auf denselben Wegen, die du im letzten Jahr verfolgt hast.«
    [155] »Aber was kann unergiebiger sein als mein augenblicklicher Mangel an Schwung?«
    »Was den Schwung angeht, vielleicht… Aber du bist trotzdem auf dem richtigen Weg. Du hast jetzt Zeit zum Nachdenken und kannst eine Menge Ballast abwerfen – all die Ideen über Erfolg und den Übermenschen und so weiter. Menschen wie wir können nun einmal nicht komplette Theorien übernehmen, so wie du es getan hast. Wenn wir stets das Nächstliegende tun und am Tag eine Stunde zum Nachdenken haben, können wir Wunder vollbringen, aber mit irgendwelchen von oben verordneten Programmen blinder Überlegenheit machen wir uns einfach nur lächerlich.«
    »Das Problem ist, Monsignore, ich kann einfach nicht das Nächstliegende tun.«
    »Amory, ganz unter uns, ich habe es selbst eben erst gelernt. Natürlich kann ich hundert andere Dinge als das Nächstliegende tun, aber dann stoße ich mit der Nase darauf, so wie du diesen Herbst mit der Nase auf die Mathematik gestoßen bist.«
    »Warum müssen wir denn unbedingt das Nächstliegende tun? Es treibt mich gar nichts dazu.«
    »Wir müssen es deshalb, weil wir nicht Persönlichkeiten, sondern Charaktere sind.«
    »Das klingt gut – was meinen Sie damit?«
    »Eine Persönlichkeit ist das, was du zu sein glaubtest und was Kerry und Sloane, von denen du mir erzählt hast, ganz offensichtlich sind. Persönlichkeit beruht fast ausschließlich auf körperlicher Ausstrahlung; sie erniedrigt die Menschen, auf die sie einwirkt – ich habe sie in langem Leiden [156] dahinschwinden sehen. Doch bei aller Aktivität lässt die Persönlichkeit ›das Nächstliegende‹ außer Acht. Ein Charakter dagegen erwirbt und sammelt. Er ist nicht denkbar ohne seine Taten. Er ist eine Stange, an die tausend Dinge gehängt sind – manchmal auch glänzende, wie unsere; aber er bedient sich ihrer mit kühler Gelassenheit, er verstrickt sich nicht in sie.«
    »Und einige meiner glänzendsten Eigenschaften sind mir abhanden gekommen, als ich sie nötig gebraucht hätte«, führte Amory eifrig das Gleichnis weiter.
    »Ja, genau; wenn du spürst, dass all dein Prestige, deine Talente und so weiter sicher aufgehängt sind, brauchst du dir um niemanden mehr Gedanken zu machen; du kannst ohne Mühe mit ihnen zu Rande kommen.«
    »Aber, andererseits, ohne diese Eigenschaften bin ich hilflos!«
    »Absolut.«
    »Das ist allerdings ein interessanter Gedanke.«
    »Und damit kannst du neu anfangen – ein Anfang, der Kerry und Sloane ihrer ganzen Veranlagung nach immer verwehrt bleiben wird. Du hast drei oder vier Ornamente deiner Person abgeschüttelt und dann in

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