Diesseits vom Paradies
unter dem Bett.«
»Ja, aber –«, setzte Amory an.
Alec brachte ihn mit einem Wink zum Schweigen.
»Natürlich riskierst du keinen Blick. Du stehst mitten im Zimmer, und bevor er kapiert, was du vorhast, springst du mit einem Satz ins Bett – du darfst niemals nahe an das Bett herangehen; deine Knöchel sind die anfälligsten Körperteile für einen Geist – aber einmal im Bett, bist du in Sicherheit; er kann ruhig die ganze Nacht unterm Bett liegen, aber du bist sicher wie am helllichten Tag. Wenn du noch Zweifel hast, dann zieh dir die Decke über den Kopf.«
»Das ist alles sehr spannend, Tom.«
»Nicht wahr?« Alec strahlte vor Stolz. »Und stammt alles von mir – dem Sir Oliver Lodge der Neuen Welt.«
Amory genoss das College wieder in vollen Zügen. Sein Leben schien erneut eine gerade, bestimmte Richtung eingeschlagen zu haben; jugendlicher Übermut regte sich in ihm und schmückte ihn mit neuen Federn. Er hatte schon wieder genug überschüssige Energie gesammelt, um in eine neue Pose zu verfallen.
»Was soll eigentlich dieses ›abwesende‹ Getue, Amory?«, fragte Alec ihn eines Tages, und als Amory so tat, als sei er völlig in sein Buch versunken, fuhr er fort: »Ach komm, mir brauchst du wirklich nicht den Mystiker Burne vorzuspielen.«
Amory sah unschuldig auf. »Was ist?«
»Was ist?«, äffte Alec ihn nach. »Versuchst du, in Verzückung zu geraten über – lass mal sehen, was du da liest.«
[203] Er schnappte sich das Buch und betrachtete es verächtlich.
»Nun?«, fragte Amory ein wenig steif.
»Das Leben der heiligen Teresa«, las Alec laut. »Grundgütiger!«
»Sag mal, Alec.«
»Was?«
»Stört es dich?«
»Stört mich was?«
»Dass ich den zerstreuten Professor spiele und so.«
»Ach was, nein – natürlich stört es mich nicht.«
»Dann verdirb’s mir nicht. Wenn’s mir Spaß macht, herumzulaufen und den Leuten in aller Unschuld zu erzählen, ich sei ein Genie, dann lass mich doch.«
»So allmählich hält man dich für ziemlich exzentrisch«, sagte Alec lachend, »wenn du darauf hinauswillst.«
Amory setzte sich schließlich durch, und Alec erklärte sich einverstanden, in Gegenwart anderer seine Auftritte zu ertragen, sofern er sich davon erholen durfte, wenn er mit ihm allein war; also »produzierte« sich Amory im großen Stil, lud die exzentrischsten Figuren zum Abendessen ein, grimmig dreinblickende Graduierte, Lehrer mit seltsamen Theorien über Gott und die Welt, und handelte sich damit zynisches Kopfschütteln im hochnäsigen Cottage-Club ein.
Im Februar und März brach sich allmählich die freundliche Sonne wieder Bahn, und Amory verbrachte einige Wochenenden bei Monsignore; einmal nahm er Burne mit, was sich als sehr gelungen erwies, denn es erfüllte ihn mit Stolz und Freude, die beiden einander vorstellen zu können. Monsignore nahm ihn mehrmals mit zu Thornton Hancock [204] und ein- oder zweimal in das Haus einer Mrs. Lawrence, einer eifrigen amerikanischen Rompilgerin, zu der Amory sofort Zuneigung fasste.
Eines Tages kam ein Brief von Monsignore, dem ein interessantes PS angefügt war:
»Weißt du übrigens, dass Clara Page, deine Cousine dritten Grades, seit sechs Monaten Witwe ist und völlig verarmt in Philadelphia lebt? Soweit ich weiß, hast du sie nie kennengelernt, aber du tätest mir einen Gefallen, wenn du sie besuchtest. Meiner Ansicht nach ist sie eine sehr bemerkenswerte Frau und etwa in deinem Alter.«
Amory seufzte und beschloss, ihm den Gefallen zu tun…
Clara
Sie war unvergesslich… Amory war nicht gut genug für Clara, Clara mit dem welligen, goldenen Haar, aber dann war keiner gut genug für sie. Ihr Gutsein war von höherer Art als die Pseudomoral heiratswütiger Frauen und weit entfernt von den öden Traktaten über weibliche Tugend.
Leid umgab sie wie ein Schleier, und als Amory sie in Philadelphia traf, kam es ihm vor, als läge nur Glück in ihren stahlblauen Augen; eine verborgene Stärke, ein Realitätssinn waren durch die Tatsachen, denen sie hatte ins Auge sehen müssen, zur äußersten Entfaltung gelangt. Sie war allein auf der Welt, mit zwei kleinen Kindern, wenig Geld und, was das Schlimmste war, einer Heerschar von [205] Freunden. In diesem Winter in Philadelphia sah er sie den ganzen Abend ein Haus voller Männer bewirten, dabei wusste er, dass sie nicht einen einzigen Bediensteten hatte außer dem kleinen farbigen Mädchen, das oben auf die kleinen Kinder aufpasste. Er sah einen der größten Libertins der
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