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Diesseits vom Paradies

Diesseits vom Paradies

Titel: Diesseits vom Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: F. Scott Fitzgerald
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von beiden. Darum glaub ich, dass du unrecht hast.«
    »Hab ich sicher nicht – deshalb bin ich gegen Inhaftierung, außer für die Unzurechnungsfähigen.«
    In diesem Punkt konnte Amory ihm nicht zustimmen. Er war der Ansicht, dass der Typus des starken Verbrechers, des Besessenen, der sich selbst etwas vormachte, im Leben wie in der Geschichte weit verbreitet war; man traf ihn in Politik und Wirtschaft an, unter den alten Staatsmännern, unter Königen und Generälen; doch Burne blieb bei seinem Standpunkt, und hier begannen sich ihre Wege zu trennen.
    Burne entzog sich mehr und mehr der Welt, die ihn umgab. Er trat vom Posten des Vizepräsidenten des Senior- [196] Jahrgangs zurück und beschäftigte sich fast ausschließlich mit Lesen und Spazierengehen. Er besuchte freiwillig Graduiertenvorlesungen in Philosophie und Biologie und saß dort mit so ergreifend ernstem Ausdruck in den Augen, als wartete er auf etwas, wozu der Vortragende niemals kommen würde. Manchmal sah Amory ihn unruhig auf seinem Platz hin und her rutschen und plötzlich sein Gesicht sich aufhellen; er brannte darauf, über einen Punkt zu diskutieren.
    Auf der Straße wurde er immer geistesabwesender, so dass man ihn bereits des Snobismus bezichtigte, doch Amory wusste, dass es nichts dergleichen war, und als Burne einmal nur einen Meter entfernt an ihm vorbeiging, ohne ihn zu bemerken, in Gedanken meilenweit entrückt, war Amory von seinem Anblick so verzückt, dass er beinahe daran erstickt wäre. Burne schien Höhen zu erklimmen, auf denen andere niemals Fuß fassen würden.
    »Ich muss dir sagen«, gestand Amory Tom gegenüber, »er ist der erste Gleichaltrige, den ich kenne, von dem ich zugeben muss, dass er mir geistig überlegen ist.«
    »Schlechter Zeitpunkt für so ein Geständnis – die Leute halten ihn allmählich für etwas überspannt.«
    »Er ist weit über sie erhaben – du musst zugeben, dass du auch so denkst, wenn du mit ihm sprichst – Himmel noch mal, Tom, du hast dich doch früher nicht darum gekümmert, was ›die Leute‹ sagen. Der Erfolg hat dich völlig konventionell gemacht.«
    Tom wurde ziemlich ärgerlich.
    »Was will er denn erreichen – Säulenheiliger werden?«
    »Nein – jedenfalls nicht wie irgendjemand sonst. Er geht [197] nie in die Philadelphian Society. An solchen Schwachsinn glaubt er nicht. Er glaubt auch nicht daran, dass öffentliche Schwimmbäder und ein gutes Wort zur rechten Zeit die Übel der Welt heilen werden; außerdem trinkt er, wenn ihm danach ist.«
    »Auf jeden Fall ist er aufs falsche Gleis geraten.«
    »Hast du in letzter Zeit mit ihm gesprochen?«
    »Nein.«
    »Dann darfst du dir überhaupt kein Urteil erlauben.«
    Der Streit führte zu nichts, doch Amory bemerkte stärker als je zuvor, wie sich auf dem Campus die Einstellung Burne gegenüber gewandelt hatte.
    »Es ist seltsam«, sagte Amory eines Abends zu Tom, als sie dieses Thema wieder etwas einvernehmlicher behandelten, »dass die Leute, die so wütend gegen Burnes Radikalität zu Felde ziehen, eindeutig zur Pharisäerschicht gehören – ich will damit sagen, es sind die gebildetsten Leute am College – die Herausgeber der Zeitungen, wie du und Ferrenby, und die jüngeren Professoren… die ungebildeten Athleten wie Langueduc denken vielleicht, dass er allmählich exzentrisch wird, aber sie sagen höchstens: ›Der gute alte Burne hat wirklich verquere Ideen im Kopf‹, und kümmern sich nicht weiter drum – aber die Pharisäer – Mann! die machen sich erbarmungslos über ihn lustig.«
    Am nächsten Morgen traf er Burne, der nach einer Lesung eilig den McCosh Walk entlanglief.
    »Wohin des Weges, edler Zar?«
    »Zur Prince -Redaktion, ich muss Ferrenby sprechen.« Er wedelte Amory mit einem Exemplar der Morgenausgabe des Princetonian zu. »Von ihm stammt dieser Leitartikel.«
    [198] »Willst du ihn bei lebendigem Leib zerreißen?«
    »Nein – aber er hat mich völlig aus der Fassung gebracht. Entweder habe ich ihn falsch eingeschätzt, oder er ist plötzlich der Welt schlimmster Radikaler geworden.«
    Burne eilte davon, und erst einige Tage später hörte Amory einen Bericht über die nachfolgende Unterhaltung. Burne war, fröhlich die Zeitung schwenkend, in das Allerheiligste des Herausgebers eingetreten.
    »Hallo, Jesse.«
    »Sei gegrüßt, Savonarola.«
    »Ich habe gerade deinen Leitartikel gelesen.«
    »Brav, brav – wusste gar nicht, dass du dich in solche Niederungen begibst.«
    »Jesse, du hast mich wirklich

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