Diesseits vom Paradies
sentimentale Natur glaubt daran, dass die Dinge andauern werden – ein Romantiker hofft verzweifelt, dass sie nicht andauern. Sentimentalität ist gefühlvoll.
SIE Und das bist du nicht? Mit halbgeschlossenen Augen Wahrscheinlich schmeichelst du dir damit, dass es ein Zeichen von Überlegenheit sei.
ER Ach – Rosalind, Rosalind, streite doch nicht – küss mich noch einmal.
SIE nun ziemlich frostig Nein – ich habe keine Lust, dich zu küssen.
ER offensichtlich verblüfft Aber vor einer Minute wolltest du doch noch.
SIE Aber jetzt nicht mehr.
ER Ich geh wohl besser.
[259] SIE Ich glaube auch.
Er geht zur Tür.
SIE Oh!
Er dreht sich um.
SIE lacht Torstand: Heimmannschaft: Einhundert – Gegner: Null.
Er will wieder auf sie zugehen.
SIE schnell Regen – Spiel findet nicht statt.
Er geht hinaus.
Sie geht gelassen zur Chiffonière, nimmt eine Zigarettendose heraus und versteckt sie in der Seitenschublade eines Schreibtisches. Ihre Mutter kommt mit einem Notizbuch in der Hand herein.
MRS. CONNAGE Sehr gut – ich wollte noch mit dir allein sprechen, bevor wir hinuntergehen.
ROSALIND Himmel! Du machst mir Angst!
MRS. CONNAGE Rosalind, es hat einiges gekostet, aus dir ein heiratsfähiges junges Mädchen zu machen.
ROSALIND resigniert Ja.
MRS. CONNAGE Und du weißt, dass dein Vater nicht mehr so viel hat wie früher.
ROSALIND verzieht das Gesicht Bitte, sprich nicht von Geld.
MRS. CONNAGE Ohne Geld kann man nichts anfangen. Das ist unser letztes Jahr in diesem Haus hier – und wenn sich nichts ändert, wird Cecelia es nicht so gut haben wie du.
ROSALIND ungeduldig Also, worum geht’s?
MRS. CONNAGE Ich möchte dich daher bitten, einiges zu berücksichtigen, was ich mir hier notiert habe. Erstens: [260] Verschwinde nicht mit irgendwelchen jungen Männern. Zu einem späteren Zeitpunkt mag das von Vorteil sein, aber im Augenblick möchte ich, dass du auf der Tanzfläche bist, wo ich dich finden kann. Es gibt bestimmte Herren, denen ich dich vorstellen möchte, und ich will dich nicht in einer Ecke des Wintergartens aufstöbern müssen, wo du mit irgendwem Unsinn redest – oder dir welchen anhörst.
ROSALIND sarkastisch Ja – anhören ist entschieden besser.
MRS. CONNAGE Und vergeude nicht zu viel Zeit mit diesen neunzehn- und zwanzigjährigen Bürschchen vom College. Ich habe nichts gegen einen Studentenball oder ein Footballspiel, aber wenn du höchst nützlichen Gesellschaften fernbleibst, nur um in kleinen Cafés in der Stadt mit Hinz und Kunz zu essen…
ROSALIND gibt nun ihren Kodex zum Besten, der auf seine Weise ebenso hoch steht wie der ihrer Mutter Mutter, das war einmal – wir leben nicht mehr in den frühen neunziger Jahren.
MRS. CONNAGE hört gar nicht zu Heute Abend sind einige unverheiratete Freunde deines Vaters eingeladen, denen ich dich vorstellen möchte – sehr jugendliche Herren.
ROSALIND nickt weise Um die fünfundvierzig?
MRS. CONNAGE scharf Und warum nicht?
ROSALIND Oh, ist schon in Ordnung – sie kennen das Leben und sehen so wundervoll müde aus, schüttelt den Kopf – aber sie wollen unbedingt tanzen.
MRS. CONNAGE Ich habe Mr. Blaine noch nicht kennengelernt – aber ich glaube nicht, dass er etwas für dich ist. Er scheint nicht gerade ein Großverdiener zu sein.
[261] ROSALIND Mutter, ich denk nie ans Geld.
MRS. CONNAGE Du behältst es nicht lange genug, um daran zu denken.
ROSALIND seufzt Tja, eines Tages werde ich wohl eine Tonne davon heiraten – aus purer Langeweile.
MRS. CONNAGE blättert in ihren Notizen Ich habe ein Telegramm aus Hartford erhalten, dass Dawson Ryder kommt. Das ist endlich einmal ein junger Mann, der mir gefällt, und er schwimmt im Geld. Ich meine, nachdem du Howard Gillespie offenbar satt hast, könntest du ein bisschen nett zu Mr. Ryder sein. Schließlich ist er zum dritten Mal in einem Monat hier.
ROSALIND Woher weißt du, dass ich Howard Gillespie satt habe?
MRS. CONNAGE Der arme Kerl sieht jedes Mal so elend aus, wenn er kommt.
ROSALIND Das war eine von diesen romantischen Vorkriegsaffären. Die waren alle ein Irrtum.
MRS. CONNAGE hat alles gesagt, was sie sagen wollte Mach uns jedenfalls keine Schande heute Abend.
ROSALIND Findest du mich nicht schön?
MRS. CONNAGE Du weißt, dass du’s bist.
Von unten hört man das Klagen einer Geige, die gerade gestimmt wird, und einen Trommelwirbel. MRS. CONNAGE wendet sich schnell zu ihrer Tochter um.
MRS. CONNAGE Komm!
ROSALIND Eine Minute noch!
Ihre Mutter geht hinaus.
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