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Diktator

Diktator

Titel: Diktator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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haben – Kopien von uns, aber anders als wir …« Sie erschauerte. »So könnte es sein, nicht wahr? So könnte die Veränderung der Geschichte vonstatten gehen. Ich weiß nicht, ob ich damit fertig werden kann.«
    »Du machst mir Angst«, sagte Gary. »Ben hatte Angst. So eine Furcht habe ich noch nie gesehen, und Ben war ein Jude in den Händen der Nazis. Er hatte viele Gründe, sich zu fürchten. Ich habe Ben versprochen, ihn rauszuholen, als er aus dem Stalag weggebracht wurde. Ich habe es nicht geschafft. Ich muss es noch mal versuchen.«
    »Tja, kann sein, dass Sie die Chance dazu bekommen, altes Haus, obwohl es vielleicht eine Weile dauern wird«, sagte Mackie leise. »Und dieses Menologium mag ja ein Rohrkrepierer sein, aber sie werden zweifellos ein ganz neues Projekt der Geschichtsbeeinflussung starten, und auch wir werden wieder ganz von vorn anfangen müssen. Weitere Recherchen für Sie, Mary. Was für ein verdammter Zirkus das Ganze ist, was für ein Zirkus. Wir müssen dem wirklich ein Ende machen.« Er sah sich um. »Aber das können wir auf morgen vertagen. Wir sind gleich beim Schiff. Heiße Tasse Tee, das brauchen wir.« Er holte eine Pfeife heraus und begann sie zu stopfen.
    Mary hielt sich an ihrem Sohn fest und begrub ihr Gesicht an seinem Kragen. Gary legte die Arme um seine Mutter. Sie zitterte. Doch er verstand nicht, wovor sie solche Angst hatte. Das Motorboot pflügte weiter durch das schwindende Nachmittagslicht.

DRITTER TEIL
WEBER MAI – JULI 1943

I
    13. Mai 1943
    Die Luft in der Küche des Bauernhauses war ein Gemisch aus Zigarettenrauch und feuchtheißen Kochdünsten.
    »Ich sage dir, so gehst du nicht noch mal aus dem Haus, angezogen wie eine verdammte kleine Nutte.«
    »Was willst du tun, Dad, mich wieder verdreschen?«
    Ernst, der am Küchentisch saß, seufzte. Er war müde heute Abend, müde von der Gefechtsausbildung. Ihm dröhnten die Ohren von den Schüssen. Aber nicht so sehr, dass er die erhobenen Stimmen hätte ausblenden können.
    Irma arbeitete lustlos am Herd. Die kleine Myrtle, jetzt schon fast zwei Jahre alt, war ein Bündel aus Haut und Knochen auf dem Boden zu Füßen ihrer Mutter. Sie spielte mit abgenutzten Holzklötzchen. Fred und Heinz hockten zusammen am Tisch, zwei formlose Klötze mit krummem Rücken und schmutzigen Hemden; Rauchkringel stiegen von ihren Zigaretten zur Decke empor. Gläser und eine halb leere Wodkaflasche standen zwischen ihnen auf dem Tisch. Der Fernseher war an, der Bildschirm eine Linse, in der verschwommene Gestalten zu sehen waren, die zu
den Klängen beschwingter Kriegsmusik herumliefen, lächelten und sich die Hände schüttelten.
    Viv stand vor dem Spiegel. Sie trug eines ihrer eleganteren Kleider, das taubenblaue, deren Nähte sie mit Hilfe ihrer Mutter mehrfach ausgelassen hatte, und bearbeitete ihre Lippen mit dem kleinen Finger. Mit ihren siebzehn Jahren war sie nun zu einer attraktiven, wenn auch dünnen jungen Frau erblüht, aber heutzutage war schließlich jedermann mager. Ernst wusste, wie viel von ihrem betörenden Äußeren falscher Glanz war, das Ergebnis von Tricks, die sie von den Mädchen in der Stadt gelernt hatte: ein Bleistiftstrich, der eine Strumpfnaht simulierte, ein wenig Rote-Bete-Saft und Vaseline auf dem Mund anstelle von Lippenstift.
    Wie üblich stand sie im Mittelpunkt des Streits.
    Heinz sog an einer Zigarette, die er zwischen den Fingerstümpfen seiner rechten Hand hielt. »Kann’s dem Vater nicht verdenken«, sagte er zu Ernst. »Sie ist jetzt wirklich ein Deutschenliebchen, die Kleine.« Seit seiner Rückkehr aus dem Osten war seine Stimme kaputt; ob es vom Gas kam oder von russischen Zigaretten, wollte er nicht sagen.
    »Und wie lange seid ihr beiden schon mit dem Stöffchen da zugange?«
    Heinz zuckte die Achseln. »Eine Stunde, vielleicht auch zwei. Seit die Feldgendarmerie wieder hier war.« Die Militärpolizei versuchte, Fred dazu zu bringen, mit dem Volkssturm zu trainieren. »Er hat ihnen gesagt, wohin sie sich ihre Helme stecken können, und sie haben die Zuteilungen wieder gekürzt, das war’s.«

    Viv wandte sich zur Tür. »Okay, Mum, ich geh dann mal.«
    »Wann bist du wieder zurück, Liebes?«, fragte Irma.
    »Jetzt ermutige sie nicht auch noch«, sagte Fred. »Hör verdammt noch mal auf, so zu tun, als wäre das ganz normal .« Freds Stimme war schwer. Er war ein sturer alter Mann, der der deutschen Militärpolizei trotzen konnte, aber er hatte keine Macht über seine Tochter.
    »Ach,

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