Diktator

mittelalterlicher Kalender. Geoffrey zufolge stammt es ebenfalls aus Birdoswald, diesmal aus einer Periode gegen Ende der Römerzeit, Anfang des fünften Jahrhunderts. Wie Sie sehen, ist es um die Wiederkehr eines Kometen am Himmel herum aufgebaut, der alle siebzig oder achtzig Jahre erschien. Es skizziert Ereignisse, die in diesen Jahren eintreten sollten – bei einigen davon kann ich mir denken, worum es sich
handelt. Und es ist zwar ein bisschen knifflig, aber man kann die Daten rekonstruieren, indem man diese ›Monate der Großen Jahre‹ addiert. Und sie passen zu den geschilderten Ereignissen – dem Wikingerüberfall auf Lindisfarne, einem schrecklichen Brand in Rom.« Sie hielt inne, um die Wirkung zu verstärken. »Die neunte Strophe scheint sich auf das Jahr 1066 zu beziehen.«
    Er war verblüfft, dann lachte er. »1066? Harold und die Normannen und all das? Na, da sind Sie ja genau am richtigen Tag gekommen, um darüber zu reden, nicht wahr? Und – Moment – ist in diesem Jahr nicht ein Komet am Himmel erschienen, der alle zu Tode geängstigt hat?«
    »So ist es. Der Halley’sche Komet. Er kommt im Schnitt alle sechsundsiebzig Jahre. Aber die Intervalle differieren immer ein wenig.«
    »Sollte man meinen«, murmelte er. »Ablenkungen durch die Schwerkraft der Planeten und so weiter …« Er fuhr mit dem Finger über den Text des Menologiums. »Sagen Sie’s mir nicht. Die Daten dieser Strophen entsprechen den Angaben der Astronomen über Halleys Erscheinen.«
    »Soweit ich es erkennen kann. Aber wenn dieser Text wirklich aus dem fünften Jahrhundert stammt – schauen Sie, Halleys Bahn ist heutzutage gut bekannt, aber 1066 oder früher war das noch nicht so. Ein Autor des fünften Jahrhunderts hätte diese Daten nicht kennen können.«
    »Sieh an, sieh an. Und Sie meinen, das hätte etwas mit unseren deutschen Freunden zu tun?«

    »Schauen Sie sich den Epilog an.«
    Er ließ den Blick nach unten wandern und las:
    Aufs Meer im Osten / und im Westen fahren
Männer des neuen Rom / aus des Ebers Schoß.
Ein Arierreich / reines Blut aus dem Norden.
Neue Welt der Starken / für zehntausend Jahre .
    »Also, jetzt schlägt’s dreizehn!«
    »Dieses entscheidende Wort, ›Arier‹ – es kommt von einem lateinischen Einsprengsel im altenglischen Text, »Imperium Aryanes«. Ich arbeite noch an der Interpretation des restlichen Textes, aber …«
    »Sie vermuten also, dass diesmal ein Nazi den Text in die Vergangenheit geschickt hat – vielleicht um die Ereignisse des Jahres 1066 abzuändern? –, um irgendwie ein Arierreich zu errichten, tausend Jahre vor unserer Zeit.«
    »So was in der Art.« Sie war sich ihrer Sache nicht sicher genug, um ihm von Josef Trojans großspuriger Behauptung in Battle zu erzählen, er werde Harold Godwinesons Niederlage ungeschehen machen. »Vermutlich hätte der englische König Harold mit den dänischen Eindringlingen Frieden schließen und mit ihnen zusammenarbeiten sollen, um die Normannen zu vertreiben. Hätte er das getan, wäre die gesamte spätere Geschichte vielleicht anders verlaufen. Aber er hat den Rat offenbar nicht befolgt.«
    »Also, das ist wirklich völlig verrückt. Aber Himmler fände es toll, stimmt’s?« Mackie lachte, verschränkte
die Finger hinter dem Kopf und lehnte sich in seinem Sessel zurück. »Komisch – jetzt sind wir zum zweiten Mal auf Hinweise gestoßen, dass jemand an der Geschichte herumpfuscht, und es scheint uns schon weitaus weniger zu überraschen als beim ersten Mal. Der Verstand kann sich wohl an alles gewöhnen. Immerhin, wir kommen voran, nicht wahr, Mary? Die Frage ist, was wir nun unternehmen. Ich glaube, das Ziel ist klar: Wir schmuggeln jemanden in Richborough ein, finden heraus, was diese Kerle im Schilde führen, und hindern sie daran, wenn wir können – und wir holen Ben Kamen raus.«
    »Ich höre immer ›wir‹«, sagte Mary.
    Er lächelte. »Gut bemerkt. Ich glaube, ich habe da einen kleinen Geistesblitz. Sehen Sie, Mary, Sie könnten uns mit einem Mal ziemlich nützlich sein. Tatsache ist, eine Bürgerin eines neutralen Landes hat eine viel bessere Chance, die Winston-Linie zu passieren und einigermaßen frei umherzureisen, sobald sie im Protektorat ist. Und wir glauben, dass Kamen im selben Lager in der Nähe von Richborough festgehalten wurde wie Ihr Sohn. Sie haben also einen Grund, diesen Teil der Welt aufzusuchen, nicht wahr?«
    Mary versuchte sich eine solche Reise vorzustellen, ein volles Jahr, nachdem