Diplomat Im Abseits
keine Frage, daß ihm seine Helga ein ausgiebiges Abendessen hingestellt hatte; und da er die Kunst beherrschte, sich von Leichen fernzuhalten, wußte er die späte Mahlzeit zu würdigen. Seine Frau schlief im Obergeschoß tief und fest.
Sie hatte den ganzen Tag in Haus und Garten gewirkt. So ein ererbter Altbau im Diplomatenviertel von Bonn-Plittersdorf, zumal in der Kronprinzenstraße gelegen, sollte ja schließlich Eindruck machen. Helga Müller war kräftig und stämmig genug, mit der Arbeit fertig zu werden; aber sie hätte doch gern öfter den Mann fürs Grobe an ihrer Seite gehabt. Tochter Annette quälte sich mit Biologie und Physik durch das Examenssemester. Über ihr schien ein Heiligenschein zu schweben und niemand wagte es, sie bei den Vorbereitungen für den Tag X zu stören. – So war auch von ihr keine Hilfe zu erwarten.
Lupus aß mit schlechtem Gewissen, aber gutem Appetit.
Als er im Schlafzimmer gegen den Stuhl stieß, brummelte es aus den Kissen: »Du kommst wieder mal spät.«
»Tut mir leid, daß ich heute nicht den Rasen gemäht habe, aber zwei Tote sind einfach zuviel. Ich konnte es wirklich nicht früher schaffen.«
»Nun halt keine Volksreden und komm endlich. Die Arbeit ist gemacht – aber eine Frau wird ja wohl noch fühlen dürfen, daß sie einen tüchtigen Mann hat, auch wenn er in Haus und Garten keine Hilfe ist.«
Lupus wußte sofort: das war mehr als ein Friedensangebot – und er nahm es wahr.
Am anderen Ende der Stadt hatte sich Peters noch einen kräftigen Whisky gegönnt und sich dann auf sein einsames Lager gestreckt; seine Frau hatte den besseren Teil der Wohnungseinrichtung mitgenommen, als sie zum Zwecke der Selbstverwirklichung nach einer wortreichen Erklärung ausgezogen war. Das zurückgelassene Schlafzimmer hatte Peters gegen freien Abtransport verschenkt und statt dessen eine Liege mit harter Bandscheibenmatratze an die Wand gestellt. Nach einem langen Schluck schlief er zwar immer gleich ein, lag dann aber nach Mitternacht stundenlang wach.
Ahrens hatte erwartet, von seiner Octopussy, wie Lupus Fräulein Kuhnert unter Anlehnung an James Bond getauft hatte, mit auf die sturmfreie Bude genommen zu werden, aber ihr war nicht danach, und so durfte er sich trollen.
Auch Singer hatte sein Problem: Er war mit sich unzufrieden und streunte durch die Kneipen der Altstadt; er hoffte auf Linderung durch Cola und Kräuterdrinks. Halb benommen von dem Zeug ließ er sich schließlich mit einem Taxi zu seiner Junggesellenbehausung in der Ännchenstraße bringen. Dort gab er die teure Ballonfüllung wieder von sich – was zumindest sein physisches Befinden besserte.
Für jeden vom 1. K. war die Nacht zu kurz gewesen; aber pünktlich wie immer traf sich das Team um sieben Uhr dreißig in Zimmer 306 zur Morgenbesprechung. Lupus hatte am Godesberger Bahnhof den üblichen Satz Morgenzeitungen gekauft und auf den Tisch geworfen. Beim Schnelldurchgang zeigte sich, daß Mausers Schlagzeilen und Bilder allen Blättern als Aufmacher der Seiten drei und vier dienten. Für ihn dürfte es nicht ganz leicht gewesen sein, halbwegs erträgliche Fotos vom Opfer im Baggereimer auszusuchen. Aber auch so war es noch schlimm genug. Wenn sich das 1. K. allerdings Fahndungshilfe erhofft hatte, so wurde es enttäuscht. Ansätze zur Identifizierung der Toten boten die Bilder nicht.
Die noch am späten Abend im Präsidium eingegangene Nachricht von Professor Klenze konnte da eher hilfreich sein. In der Rechtsmedizin war man hinreichend sicher, daß es sich bei der Toten um eine Frau aus dem asiatischen Raum handelte, wobei aber Indien als Herkunftsland auch in Betracht gezogen werden mußte.
Kommissar Freiberg hatte den kurzen Text vorgelesen. »Das und der Schlangenring könnten uns weiterbringen. – Den Mauser ans Telefon!«
Fräulein Kuhnert wußte, daß es ein schwieriges Unterfangen war, zu dieser unchristlichen Zeit den schnellen Schreiber zu wecken. Sie ließ das Telefon läuten – lange.
Als Lupus lauthals feststellte: »Der Lügenoptiker ist ausgeflogen«, kam eine verschlafene Stimme über den Lautsprecher: »Hier Mauser – aber ungern. Wer wagt es, mich zu wecken?«
»Freiberg.«
»O nein, bitte keine neuen Leichen!«
»Mauser, hören Sie, wir brauchen Ihre Hilfe.«
»Das klingt schon besser; ich glaube, jetzt bin ich wach.«
»Es gibt neue Erkenntnisse, die für die nächste Ausgabe interessant sein könnten.«
»Und die wären?«
»Pardon, nicht am Telefon – und
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