Dir darf ich nicht gehören
Raum, obwohl Stickrahmen, Staffelei
und Notenständer leer waren. Er würde es genießen, hier Zeit mit Viola zu
verbringen. Sie würde sich hier sowohl wie seine Gesellschafterin als auch wie
seine Mätresse fühlen. Sie würden sich unterhalten und lesen und sich
miteinander wohl fühlen. Sie würde sich fast wie eine Ehefrau fühlen.
Aber er
wollte keine Ehefrau, gemahnte er sich - und auch keine Mätresse. Er
wollte Viola wieder in Pinewood wissen, wieder als Herrin des Gutes. Selbst
wenn das bedeutete, sie niemals wiederzusehen; denn das war es, was sie wollte.
Er
wanderte ruhelos aus dem Raum und die Treppe hinauf ins Schlafzimmer. Er setzte
sich auf die Bettkante und ließ eine Hand über das Kissen gleiten, wo letzte
Nacht ihr Kopf gelegen hatte. Er hoffte - und schluckte dabei gegen den
Kloß an, der sich in seiner Kehle gebildet hatte -, dass sie wieder nach
Hause zurückgehen würde. Vielleicht könnte er ihr folgen, wenn einige Zeit
vergangen war, im Boar's Head wohnen, sie besuchen, sie umwerben ...
Er trat
in ihren Ankleideraum. Er wirkte leer. Sie hatte zwar nur eine Tasche von
Pinewood mitgebracht, aber es hätte wenigstens ein Kamm oder eine Bürste oder
irgendetwas auf dem Frisiertisch liegen sollen. Aber es war nur ein an den
Spiegel gelehntes, gefaltetes Blatt Papier zu sehen. Er durchquerte den Raum
mit zögernden Schritten und wusste nur allzu genau, was es war. Sein Name stand
außen darauf, in der ihm mittlerweile vertrauten, sauberen Handschrift.
Dieser
Brief war ebenso knapp gehalten wie der letzte.
»Wir
hatten vereinbart, dass es uns beiden freisteht, unsere Liaison kurzfristig zu
beenden«, hatte sie geschrieben. »Ich beende sie nun. Geh nach Pinewood zurück.
Ich glaube, dass du dort die Erfüllung finden wirst, die du schon dein ganzes
Erwachsenenleben lang gesucht hast. Sei dort glücklich. Viola.«
Also
war sie ihm doch noch entflohen. Sie hatte es von Anfang an vorgehabt. Wenn er
jetzt darüber nach dachte, fiel ihm auf, dass sie niemals ausdrücklich gesagt
hatte, dass sie seine Mätresse würde, nur dass sie mit ihm hierher kommen würde
und es ihr freistehen müsse zu gehen, wann immer sie wollte. Sie war in die Weite
Londons verschwunden. Die letzte Nacht hatte ihr nichts bedeutet. Er bedeutete ihr
nichts. Sie zog das Leben als Kurtisane vor. Das ergab für ihn absolut keinen
Sinn. Aber musste es das denn?
Würde
er jemals dazulernen?
Er
zerknüllte das Papier und ließ es zu Boden fallen.
»Verdammt
seist du!«, sagte er laut.
Und
dann überraschte er sich und brachte sich in Verlegenheit - als geschähe
es vor Publikum -, indem er aufschluchzte und wieder aufschluchzte und
die Flut seines Kummers nicht vermochte einzudämmen.
»Gott
verdamme dich in die Hölle!«, sagte er zwischen Schluchzern. »Was willst du von
mir?«
Die
Stille antwortete ihm laut und deutlich.
Überhaupt
nichts.
Viola ging nach
Hause. Nach Hause zum Gasthaus ihres Onkels, um ihre Mutter und ihre Schwestern
zu sehen. Und um Daniel Kirby zu treffen und mit ihm ein Arrangement für ihre
Zukunft zu treffen. Sie würde sich zwar nicht der Qual aussetzen, zu hoffen,
aber sie beabsichtigte, so lange wie möglich zu kämpfen. Die Tasche in der Hand
und neben sich Hannah, ging sie zunächst in die dem Gasthaus entgegengesetzte
Richtung. Sie musste noch einen Besuch abstatten.
Sie saß
drei Stunden eigensinnig in einem schäbigen Außenbüro der Anwälte von
Westinghouse and Sons und wartete, bevor sie eine ganze Minute lang die Gegenwart
des jüngsten Partners der Kanzlei genießen durfte, der ihr versicherte, das Testament
des Earl of Bamber erwähne Miss Viola Thornhill in keiner Weise.
»Nun,
Hannah«, sagte sie, als sie wieder gingen, »ich habe nichts anderes erwartet,
musst du wissen. Aber ich wollte es mit eigenen Ohren hören.«
»Wohin
gehen wir jetzt, Miss Vi?«
Hannah
hatte das Reiseziel der letzten Nacht nicht gefallen. Aber ihr hatte auch das
Fortgehen heute Morgen nicht gefallen. Sie hatte gewollt, dass sich Viola auf
Lord Ferdinands Gnade verlassen, ihm alles erzählen und ihn bitten sollte, ihr
das Geld zu leihen, damit sie Daniel Kirby bezahlen könnte. Ferdinand war, so
Hannah, mehr als nur ein bisschen in sie verliebt. Er könnte dazu gebracht
werden, um ihre Hand anzuhalten, wenn Miss Vi ihre Karten nur richtig
ausspielte.
Niemals!
Sie würde ihn nicht um Geld bitten, sie würde ihn nicht mit ihren Problemen
belasten, und sie würde ihn nicht in eine Ehe locken, die er den
Weitere Kostenlose Bücher