Disziplinmanagement in der Schulklasse
Rangplätzen, in der Leistungshierarchie auf den mittleren.
Seit Beginn der 8. Klasse hat Simone einen Konflikt mit Herrn X. Dieser gilt unter den Schülern als eher streng. Er hat einen straffen Unterrichtsstil und verlangt leistungsmäßig bisweilen mehr, als in diesem Fach üblich ist.
Simone legt sich mit dem Lehrer immer mal wieder an. Sie kommentiert seine Standpunkte negativ, stellt Arbeitsaufträge in Frage und opponiert gezielt. Als Herr X vor kurzem die Klasse aufforderte, Gründe für und gegen die Todesstrafe in einer Stillarbeit aufzuschreiben, war Simones Reaktion: «So ein Quatsch!» Auf die Frage, warum dies Quatsch sei, antwortete Simone: «Das weiß ich doch, das brauche ich nicht aufzuschreiben.»
Mit solchen Provokationen bringt Simone Herrn X auf die Palme. Er schreit sie dann an. Daraufhin ist sie meistens ruhig, setzt den Konflikt aber mit mimischen Methoden fort, was den Kontrahenten noch mehr ärgert.
Der Konflikt dauert nun schon dreieinhalb Monate und eskaliert immer mehr. Für Herrn X wird die Situation unerträglich. Der Ärger geht ihm im wahrsten Sinne des Wortes auf den Magen. Er glaubt Anzeichen zu erkennen, dass Simones Disziplinlosigkeit von Mitschülern imitiert wird. Er befürchtet, dass seine bisherige Autorität zerfällt und ihm die Unterrichtsführung allmählich aus den Händen gleitet. Über kurz oder lang, so seine Befürchtung, wird sich der Autoritätsverlust an der Schule herumsprechen. Und die Schüler denken: «Den kann man ärgern und fertigmachen!»
Herr X versucht seine bisherige Problembewertung zu verändern:
«Schülerkritik muss nicht unbedingt schädlich sein. Sie kann auch positive Hinweise zur Weiterentwicklung und Verbesserung des Unterrichtsstils enthalten.»
«Simones Problemverhalten wurzelt nicht in einer Aggressionslust mir gegenüber. Offensichtlich überträgt sie negative Vater-Erfahrungen auf mich. Ich erinnere sie bezüglich meines persönlichen Stils wahrscheinlich an ihren Vater. Ich bin in den Sog einer Übertragungsbeziehung geraten. Meine Reaktionen (Unverständnis, Anschreien) ähneln womöglich denen von Simones Vater.»
«Der Teufelskreis zwischen mir und Simone ist inzwischen so geschlossen, dass sie von mir die bisherigen Reaktionen erwartet: Ärger, Unverständnis, Schreien (= Lösungen erster Ordnung). Will ich diesen Teufelskreis aufbrechen, muss ich mich anders verhalten.»
Diese Einsicht versucht Herr X nun in sein unterrichtliches Handeln umzusetzen. In einer der nächsten Stunden bricht der Teufelskreis auf, und zwar in der folgenden Situation.
Herr X: «Das Welternährungsproblem lässt sich nur lösen, wenn wir rei-chen Länder jährlich 10 % unseres Einkommens an die Entwicklungsländer abgeben.»
Simone: «Quatsch, das hilft doch denen nichts.»
Herr X bleibt wider Erwarten gelassen und sagt: «Okay, Simone, es kann ja sein, dass dies Quatsch ist. Dann aber erklär uns mal, wie du das Welternährungsproblem lösen würdest!» Simone nimmt den Ball auf und begründet, warum finanzielle Hilfe allein nichts nützt. Die Menschen in der Dritten Welt würden dieses Geld oft in unnütze Sachen investieren. Sie bräuchten gezielte Selbsthilfe, um sich selbst ernähren zu können. Dies konkretisiert sie weiter. Herr X lobt Simone für den Beitrag. Simone und die Klasse sind sichtlich verdutzt.
In den nächsten Wochen beginnt sich der Teufelskreis allmählich aufzulösen. Danach gefragt, warum dieser Änderungsprozess in Gang gekommen ist, antwortet Herr X: «Ich habe zum einen Simone anders sehen gelernt. Mir ist klar geworden, warum ich in diesen Konflikt geraten bin. Als sie mich wegen dem Welternährungsproblem provozierte, kamen die üblichen Ärgergefühle nicht in mir hoch. Ich hatte Spielraum, um mich anders zu verhalten.»
Sechs Wochen nach dem Erstgespräch spricht Herr X Simone nach der Stunde an und sagt: «Simone, anfangs hatten wir es sehr schwer miteinander. Jetzt bist du eine sympathische Schülerin geworden.» Simones kurze Antwort: «Und Sie sind halt auch anders geworden.»
7 Störungsprävention
Vorbeugen ist besser als Heilen. Was der Medizin recht ist, müsste der Pädagogik billig sein.
Wolfgang Memmert
Es gibt Unterrichtsforscher, die der Meinung sind, dass sich viele Unterrichtsstörungen durch eine effiziente Klassenführung vermeiden lassen. Der prominenteste Vertreter dieses Standpunktes ist Jacob Kounin (2006). Er hat viele Unterrichtsstunden videografiert und anschließend analysiert. Die
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