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Diverses - Geschichten

Diverses - Geschichten

Titel: Diverses - Geschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrid Lenz
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leise. „Sie war es, die mich zuerst verführte.“
    „Wie bitte?“ Der Kommissar wurde hellhörig. „Sie meinen doch nicht etwa das, woran ich denke?“
    „Doch.“ Herr Fingus nickte. „Und das nicht nur einmal. Bei jeder erdenklichen Gelegenheit hat sie es getan.“
    „Tatsächlich?“ Der Kommissar konnte sich einer gewissen Beunruhigung nicht erwehren. „Möchten Sie denn darüber sprechen?“
    „Oh ja.“ Die Augen des Angesprochenen erfüllte Feuer. „Die Süße war es, dieser zarte Schmelz.“
    „Die Süße?“ Der Kommissar fühlte sich irritiert.
    Ein seliges Lächeln erhellte Herrn Fingus‘ Miene.
    „Den Duft verspürte ich bereits auf dem Weg zu ihr. Die köstlich schokoladene Masse, auf der Zunge zerging sie mir…“
    „Wie jetzt?“ Der Gesichtsausdruck des Kommissars gewann an Verwirrung.
    Herr Fingus schlug die Hände zusammen, blickte verzückt zur Decke.
    „Die Pralinen natürlich! Das Erste, was sie mir stets unter die Nase hielt, war diese üppig ausgestattete, reich bestückte Schachtel, geziert von einer barocken, dunkelroten Schleife als unübertreffliche Krönung. Das Papier raschelte, die Köstlichkeiten entblätterten sich Stück für Stück vor meinen unschuldigen Kinderaugen. Verstehen Sie jetzt, Herr Kommissar?“
    „Um ehrlich zu sein…“ Der Kommissar zögerte noch. „Was, in Gottes Namen, hat das alles denn mit dem Anschlag zu tun, dem Grund ihres Anrufes?“
    „Sehen Sie das denn nicht?“ Herr Fingus verdrehte die Augen, deutete anklagend mit seinen runden Fingern auf eine appetitlich angerichtete, in offensichtlicher Hast nur einen Spalt geöffnete, herzförmige Dose, die den niedrigen Sofatisch schmückte.
    „Nichts Böses ahnte ich. Kein Verdacht schlich sich in meine Seele, als der Morgen graute. Ein Tag wie jeder andere lag vor mir, frei von Versuchung jeder Art, die zu bekämpfen doch der Sinn und Zweck der Fastenzeit. Kein Gedanke an einen Test, an eine Probe meiner Willensstärke in diesen kalten Monaten.“
    „Nun.“ Der Kommissar klappte sein Notizbuch zusammen. „Ich denke, der Fall ist gelöst.“
    „Ach ja?“
    Er nickte bekräftigend. „Sieht ganz so aus, als würde sich der Übeltäter in ihrem Heim befinden. Mehr noch.“ Der Kommissar grinste. „Mir scheint, Sie beherbergen einen anonymen Verehrer in ihren Mauern, um nicht zu sagen, einen geheimen Valentinsschatz. So etwas passiert, wenn der Tag der Liebe in die Fastenzeit hineinrutscht.“
    Er zwinkerte der errötenden Haushälterin zu. „Schließlich kann auch der bravste Mensch in diesen Wochen nicht auf alles verzichten. Ein kleines Glück hat jeder sich verdient.“
     
    * * *
     
    Mäusezahn Rennmaus
     
    Ein Leben hinter Gittern, viel mehr ist dazu nicht zu sagen. Wenn ich mich Ihnen vorstellen darf: Mäusezahn der Name.
    Nicht sehr einfallsreich, aber was kann man von diesen Menschen schon erwarten, denen nichts Besseres einfällt, als unsereiner mit einer Handvoll Streu und ein paar Körnern in einen Kasten zu sperren, und mit glucksenden Lauten bei der täglichen Arbeit zuzusehen.
    Nicht, dass sie es verstehen würden, die kunstvollen Bauten, die wir erschaffen und die von ihnen abfällig Nest genannt und bei der erstbesten Gelegenheit entsorgt werden. Oder die Schwierigkeiten, vor die uns das Auswählen, Einbuddeln und Sortieren der Körner stellt, die sie uns gnädig zustecken. Dafür haben sie kein Verständnis, dafür fehlt Ihnen der Einblick.
    Aber ich komme vom Thema ab. Eigentlich ist es doch meine Lebensgeschichte, die ich mir vorgenommen hatte, ihnen zu Gehör zu bringen.
    Beginnen wir am Anfang.
    Ich wurde als Jüngster von vier Brüdern in einer Tierhandlung geboren. Natürlich entstammen wir alle einer langen Reihe von Einwanderer-Mäusen. Ursprünglich verschleppt aus den Steppenrändern der Mongolei, brachte man uns als Wüstenrennmäuse in den Handel und erkannte sofort den Unterhaltungswert und das Verdienstpotential, das wir boten.
    Von Wüste ist im Leben einer Rennmaus allerdings nicht mehr viel zu erkennen. Wir alle fristen unser Dasein als Attraktion von Kinderzimmern, Hausfluren oder Klassenräumen. Niedlich, pflegeleicht, emsig – so werden wir von Laien beschrieben, eine Beleidigung im Grunde, betrachtet man unsere Geschichte und Lebensweise.
    Man nehme nur mich und meine Brüder. Familie, Gesellschaft, Nation. All das in einem Käfig vereint. Jahre des Bauens, Nagens, Grabens, der Kommunikation untereinander und all das mit den riesigen Gesichtern, die

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