DJ Westradio
Küche, das frühere Dienstmädchenzimmer. Dort sollte schon so mancher Partybesucher seine Unschuld auf der Gästeliege verloren haben, und wir spekulierten, wann es denn einen von uns erwischen würde.
Außer uns sieben Jungs gehörten auch noch einige andere zur Clique, manchmal mehr und manchmal weniger. Besonders die Mädchen waren immer paarweise unterwegs. Da waren die beiden Schwarzhaarigen, Micky und Katrin, die beiden Blondinen, Susi und Anja, die beiden Langhaarigen, Winnie und Günni, sowie Geertje und Frieda mit halblangen Haaren. Aus dem benachbarten Stadtteil Marienbrunn ließen sich außerdem ab und zu zwei Mädchen mit gelockten Haaren sehen: Antje und Jaqueline. Wie sich jeder denken kann, kam es natürlich zu diversen Beziehungen. Um sich das graphisch vorzustellen, müßte man einfach nur mit einem Stift zwei Minuten lang Zickzacklinien auf ein Blatt Papier malen – also wie bei jeder anderen Jugendclique eben auch.
Damals reichte noch ziemlich wenig Alkohol aus, um den einen oder anderen rumtorkeln zu sehen. Am nächsten Tag erzählte der Besoffene dann immer die übelsten Storys: »Ich war gestern wieder völlig blau und hab einen totalen Filmriß.« Dabei hatte man genau gesehen, daß derjenige maximal ein Bier intus hatte, also hier nur eine Show ablieferte, aber das gehörte zum Erwachsenwerdenwohl dazu. Ich bemühte mich ebenfalls, den nun obligatorischen alkoholischen Getränken etwas Interessantes abzugewinnen. Jedoch hatte ich ein großes Problem: Ich fand das Zeug einfach nur eklig. Sicherlich ein Genfehler, denn alle anderen tranken das doch auch in großen Mengen. Ich probierte alles durch: Bier, Schnaps, Wein, Sekt, Liköre – es half nichts. Ich war ein Versager. Wie sollte ich nun erwachsen werden? Glücklicherweise hatte ich eine tolerante Clique und durfte trotzdem mit auf die Partys. Es sprach sich außerdem rum, daß ich nichts trank, und das erleichterte mir die Kontaktaufnahme zu unbekannten weiblichen Gästen – bis diese später am Abend leicht angetrunken mit ebenfalls besoffenen Kumpels in der »Kammer« verschwanden. Zu später Stunde war ich dann immer der einzige noch nüchterne Mensch zwischen lauter Musik, Zigarettenqualm, leeren Bierflaschen und schaute meinen Kumpels zu, wie sie auf allen vieren durch den Flur Richtung Klo krabbelten oder auf der Balkonbrüstung im dritten Stock einschliefen.
Höhepunkt einer jeden Party war der Gang auf das Flachdach, wo dann die Jungs kollektiv auf die Straße runterpinkelten. Wer sich vorher genügend Mut angetrunken hatte, ließ sich anschließend von Pyro, der eine elektrische Haarschneidemaschine besaß, den Nacken und die Seiten auf drei Millimeter Haarlänge kürzen. Das brachte die Depeche-Mode- oder The-Cure-Frisur optimal zur Geltung. Mut brauchte man dafür, um nicht an die Reaktionen zu denken, welche diese Frisur bei den eigenen Eltern hervorrufen würde. Nauni übernachtete deswegen mal auf einer Parkbank, nachdem er zu Hauseeinen fetten Anschiß bekommen hatte. Keine Ahnung, warum abrasierte Seiten so schlimm sein sollten, wir fanden es todschick.
Wir verlebten aber auch wunderschöne alkoholfreie Abende, an denen wir in lauen Sommernächten auf dem Balkon bei Triebi saßen, in den Sternenhimmel schauten und den bislang verschmähten Früchtetee aus einem Westpaket tranken. Wir sprachen über Liebe beziehungsweise über das, was wir uns darunter vorstellten, und wir versuchten, über das Leben zu philosophieren, darüber, ob es einen Gott gebe und daß die Idee des Sozialismus eigentlich gar nicht schlecht, hier bei uns in der DDR aber völlig schief gelaufen sei. Gorbatschow hingegen fanden wir sympathisch. Viel sprachen wir über den Unterschied zwischen uns und den DDR-Bonzen. Letztere sahen sich ja als Linke an, wir als New-Wave-Kids uns aber irgendwie auch. Trotzdem hatten wir mit denen überhaupt nichts gemeinsam. Viel von dem, über das wir da redeten, hatten wir natürlich bei unseren Eltern aufgeschnappt, hier in unserem Kreis versuchten wir jedoch uns auch unsere eigene Meinung zu bilden. Dazu wurden Unmengen Zigaretten geraucht, zu später Stunde »Karo«, die etwa mit den Rothändle-Kippen vergleichbar sind.
Kurz vor Sonnenaufgang spazierten wir dann zum nahe gelegenen Scherbelberg, um uns von dort oben dieses Naturschauspiel anzuschauen. Auf dem Rückweg freuten wir uns diebisch, wenn wir Menschen sahen, die verschlafen zur Arbeit aufbrachen, denn wir gingen jetzt erst ins Bett.
Triebis Bruder
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