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DJ Westradio

DJ Westradio

Titel: DJ Westradio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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in der Clique für Independent- und Punkmusik interessierten, desto mehr hörten wir davon, daß es auch solche Bands in der DDR gäbe. Eines Tages erfuhren wir, daß in unserem Connewitzer Kino am Wochenende ein Punkkonzert stattfinden würde. Im Kino? Nun, in der DDR war vieles möglich, warum nicht ein Punkkonzert an einem solchen Ort. Bislang hatte ich dort nur Filme wie »Freibeuter der Meere« und »Beat Street« gesehen. Ich war gespannt, ob das wirklich stimmte.
    Thümi und ich trafen uns an besagtem Abend und liefen auf der Karl-Liebknecht-Straße gen Connewitz. Und tatsächlich: Vor dem Eingang wartete bereits ein illustres Publikum, ganz anders als das, welches man sonst dort bei Filmvorführungen antraf. Die Typen waren meist älter als wir, bunt frisierte Punks und Leute im New-Wave-Outfit. Fast fühlten wir uns als Teenies etwas deplaziert bei so vielen coolen Szenetypen, aber wir fanden es trotzdem irgendwie toll. Drinnen nahmen wir artig in den Kinosesseln Platz. Getränke konnte man nicht kaufen, wir waren ja in einem DDR-Kino, aber erfahrene Konzertgänger hatten vorgesorgt und holten das eine oder andere Bier aus ihren Rucksäcken hervor. Die anwesenden Platzanweiser versuchtennoch einige Zeit, das Rauchverbot durchzusetzen, hatten jedoch besonders bei den Punks keinerlei Erfolg und gaben schließlich genervt auf. Dann endlich kam »Zorn« auf die Bühne, eine Punkband aus Leipzig. Ihre Musik war laut und ihre Texte ziemlich zornig, daher wohl der Name. Wo zwischen den Stuhlreihen und vor der Bühne noch Platz war, wurde wild Pogo getanzt. Wir saßen weiter brav auf unseren Plätzen, waren aber von der Action vorne schwer begeistert, was man vom älteren Kinopersonal eher nicht sagen konnte. Für sie war es offenbar der totale Kulturschock, ihre Gesichter sprachen Bände.
    Uns öffnete sich mit den in Leipzig immer öfter stattfindenden Konzerten von jungen »Underground«-Bands eine völlig neue Welt. Wir entdeckten, daß es bei uns Bands gab, die mit dem alteingesessenen DDR-Rock absolut nichts am Hut hatten und Musik machten, die uns wirklich ansprach. Allein ihre Namen wie »AG Geige«, »Wartburgs für Walter« oder »Die Freunde der italienischen Oper« fanden wir sehr erfrischend.
    Anfang der 80er Jahre wurden Punkbands und deren illegale Konzerte in Kirchen und Proberäumen noch von Polizei und Stasi massiv verfolgt, die Mitglieder schnell eingeknastet. Mit den Jahren gewährte man solchen Bands dann aber doch einige Freiräume, soweit sie sich an gewisse Spielregeln hielten, also eine Auftrittserlaubnis hatten und keine erkennbaren staatsfeindlichen Texte sangen. Daraus entwickelte sich mit der Zeit eine eigene Bandszene, »Die anderen Bands« genannt. Musikalisch ging die Spannbreite von kompromißlosem Drei-Akkorde-Punk über düsteren New Wave, melancholischen Gitarrenpop bis hin zu experimentellerelektronischer Musik. Erdacht und gespielt von jungen Leuten ohne irgendwelche Wurzeln in den bekannten DDR-Bands, die sich meist das Spielen ihrer Instrumente selbst beigebracht hatten. Diese Öffnung zum individualisierten Band-Underground war nicht unbedingt als Zeichen einer beginnenden Liberalisierung der Kulturpolitik anzusehen. Vielmehr hofften vor allem die FDJ-Bonzen, durch ein Unterstützen solcher »anderen Bands« einen Teil der für sie in den 80ern abtrünnig gewordenen DDR-Jugendlichen wieder an sich binden zu können. Eine Hoffnung, die sich im übrigen nicht erfüllen sollte. Die Auftrittsmöglichkeiten, die die Jugendclubs nun anboten, wurden natürlich trotzdem ausgiebig genutzt, aber dankbar war der FDJ deswegen keiner.
    Besonders 1988 und 1989 gingen wir mit unserer Clique fast jedes Wochenende zu solchen Bandauftritten. Ständig war irgendwo ein Konzert. Im »Regina«-Kino im Leipziger Osten, im Kino »Connewitz«, in Jugendclubhäusern wie dem »Erich Zeigner«, auch bekannt als »Eiskeller«, in Schulturnhallen, in Kirchen, auf Partys. War in Leipzig nix los, konnte man zu Veranstaltungen in umliegende Städte fahren. Die Termine wurden durch die perfekt funktionierende Mundpropaganda verbreitet.
    Schwer beeindruckt war ich von einer Leipziger Band namens »Die Art«, die schönen melancholischen Indie-Pop spielte. Zu meiner absoluten Lieblingsband aus dieser Ecke entwickelte sich hingegen »Die Vision« aus Ostberlin. Nicht nur vom Namen her erinnerten sie an Joy Division aus England. Sie avancierten geradezu zu den Superstars der »anderen Bands«. Die Demotapes,die

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