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DJ Westradio

DJ Westradio

Titel: DJ Westradio Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sascha Lange
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wir kurz entschlossen alle unsere alten Kinderhörspielkassetten. Auch meine »Wie die Schlümpfe Schlagerstars wurden«-Kassette wurde so unwiederbringlich gelöscht.

Kriegsspiele Vol. 2
    Musterung! Im Frühjahr 1989 zog ich die Aufforderung zur Tauglichkeitsuntersuchung für die Nationale Volksarmee aus dem Briefkasten. Es war natürlich illusorisch, aber irgendwie hatte ich schon gehofft, daß sie mich vergessen würden. Musterung. War ich wirklich schon so alt? Was für Geschichten es darüber zu hören gab. Da sollten einem die Ärzte an die Eier fassen, um irgend etwas zu diagnostizieren, und man mußte in einen Becher pissen. Außerdem wurde man stundenlang von den Politoffizieren in einer Art Kreuzverhör unter Druck gesetzt, damit man sich »freiwillig« als Berufssoldat für mindestens zehn Jahre verpflichtete, statt nur lächerliche anderthalb Jahre Grundwehrdienst abzuleisten.
    An einem Mittwoch im April hatte ich um 8.30 Uhr meinen Musterungstermin. Ort des Geschehens war nicht etwa eine Kaserne oder ein Wehrkreiskommando, vor dessen Tor ein schwerbewaffneter Posten mit versteinerter Miene Wache schob und einem den Eindruck vermittelte, man ginge in den Knast. Nein, ich stand vor einem alten Ladengeschäft in einem trostlosen Eckhaus im Leipziger Osten. Ich dachte erst, ich hätte mich in der Hausnummer geirrt.
    Drinnen mußte man seinen Personalausweis an einem Schalter abgeben und dann in ein Wartezimmer treten. Die Untersuchung war schnell überstanden, und meine Eier wollte glücklicherweise niemand anfassen. Natürlich habe ich sie auch nicht daran erinnert.Ich versuchte die ganze Zeit, einen schön krummen Rücken zu machen, und der Arzt notierte sich plangemäß meinen »Rundrücken«. Vielleicht schmälert das meine Attraktivität für den Dienst bei der NVA, dachte ich mir.
    Nach dieser Prozedur kam ich in ein ganz, ganz schmales Büro mit zwei Typen in Stasi-Zivil, also häßlichen DDR-Klamotten, und kurzen NVA-Frisuren, die den typischen ernsten DDR-Staatsorgane-Gesichtsausdruck aufgesetzt hatten. Wir saßen quasi hintereinander, aber für einen Schreibtisch hatte der Platz noch gelangt. Sie fragten mich sogleich, ob ich nicht drei Jahre zur NVA gehen wolle.
    Was, nur drei Jahre? schoß es mir durch den Kopf. Bin ich euch nicht gut genug für eine Karriere als Berufsoffizier? Aber ihr wißt ja gar nichts von meinem Joker, den ich hier in meiner Tasche habe.
    Ich angelte eine zu Hause abgefaßte handschriftliche Erklärung aus meiner Tasche und gab bekannt, daß ich aufgrund meiner christlichen Weltanschauung den Dienst bei den Bausoldaten vorzöge. Den Text in feinstem DDR-Juristen-Deutsch hatte ich mir Tage zuvor via Telefon von einem Pfarrer geben lassen:
    Betrifft Ableisten meines Wehrdienstes als Wehrersatzdienst in den Baueinheiten der NVA
    Hiermit erkläre ich, daß ich aus Glaubens- und Gewissensgründen mich nicht in der Lage sehe, meinen Wehrdienst mit der Waffe zu leisten. Deshalb werde ich auf gesetzlichem Weg (Gesetz über die Aufstellung von Baueinheiten 7. 9. 1964) meinen Wehrdienst bei den Baueinheiten leisten.
    Auch ohne die kommenden Ereignisse des Herbstes 1989 vorauszusehen, war es zu diesem Zeitpunkt keine besondere Heldentat mehr, sich zu den Bausoldaten zu melden. Bausoldaten waren im Grunde ja sowieso nichts anderes als normale NVA-Soldaten, nur eben ohne Ausbildung an der Waffe. Die schikanöse Grundausbildung war die gleiche. Besonders in den Braunkohletagebauen und maroden Industriekombinaten wurden immer wieder Bausoldaten eingesetzt. Der Staat hatte diesen »Ersatzdienst« in erster Linie für solche Softies wie mich bereits in den 60er Jahren eingeführt, damit man international Eindruck schinden konnte. Es war ein kleiner »Freiraum«, den man nur nutzen mußte, denn dies war ja nicht ungesetzlich. Natürlich sprach man in der DDR-Öffentlichkeit nicht über die Bausoldaten, schließlich wollte man, daß alle zur richtigen NVA gingen.
    Ich war auf eine längere Diskussion über meine Absichten gefaßt, aber statt dessen nahmen sie meinen Wisch entgegen, fragten noch nach der Adresse meiner Kirchgemeinde und schickten mich wieder ins Wartezimmer. Gleich sollte es zu einem weiteren Gespräch vor der Musterungskommission kommen. Also war noch nicht alles überstanden?
    Nach kurzer Zeit rief man mich auf. Jetzt würde das Schauspiel also beginnen. Die Agitation. Die Überredung. Das Verhör. Der Raum, den ich nun betrat, war um einiges größer als das vorhergehende

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