Doch die Sünde ist Scharlachrot
nicht?«
»Erstens, weil ich als Leihgabe an DI Hannaford hier bin. Und zweitens …« Sie fuhr sich mit der Hand durch das sandfarbene Haar, unmöglich geschnitten wie üblich, hoffnungslos ungelockt und wie immer statisch aufgeladen, sodass ein nicht eben geringer Teil ihr vom Kopf abstand. »Sir, wie soll ich Ihnen das klarmachen …«
»Was?«
»Na, das alles hier. Sie haben das Schlimmste erlebt, was einem passieren kann …«
»Barbara …«
»Nein. Jetzt werden Sie mir verdammt noch mal zuhören. Ihre Frau wurde ermordet. Sie haben Ihr Kind verloren. Herrgott noch mal, Sie selbst mussten die lebenserhaltenden Maschinen abschalten!«
Er schloss die Augen. Ihre Hand packte seinen Arm und hielt ihn fest.
»Ich weiß, das hier ist hart. Ich weiß, es ist furchtbar.«
»Nein«, murmelte er. »Das wissen Sie nicht. Das können Sie gar nicht.«
»Na schön. Dann kann ich es eben nicht wissen. Aber was mit Helen passiert ist, hat Ihr Leben in ein Trümmerfeld verwandelt, und niemand, absolut niemand, Sir, übersteht so etwas, ohne dass er ein bisschen durcheinander ist.«
Er sah sie wieder an. »Wollen Sie damit etwa sagen, ich wäre verrückt? Sind wir an diesen Punkt gelangt?«
Sie ließ seinen Arm los. »Ich will damit nur sagen: Sie sind traumatisiert. Sie sind nicht aus einer Position der Stärke in diesen Fall hineingestolpert, weil Sie das gar nicht konnten, und irgendetwas anderes von Ihnen zu erwarten, wäre auch nicht richtig. Ich habe keine Ahnung, wer diese Frau ist oder warum sie hier ist, ob sie überhaupt Daidre Trahair ist oder nur jemand, der sich für Daidre Trahair ausgibt. Aber die Tatsache bleibt: Wenn jemand in einer Mordermittlung lügt, dann ist es genau das, was die Polizei unter die Lupe nimmt. Also ist die Frage doch: Warum wollen Sie das um keinen Preis? Ich glaube, wir beide kennen die Antwort.«
»Die da lautet?«
»Da ist sie wieder, Ihre Aristokratenstimme! Ich weiß genau, was das bedeutet: Sie wollen Distanz, und meistens kriegen Sie die auch. Aber heute nicht, Sir. Ich bin hier, stehe genau vor Ihrer Nase, und Sie müssen sich klarmachen, was Sie tun und warum. Und wenn Sie mit dem Gedanken, das tun zu müssen, nicht klarkommen, dann müssen Sie sich auch diesbezüglich fragen: Warum nicht?«
Er antwortete nicht. Er fühlte sich, als spülte eine Welle über ihn hinweg, die all das durchbrach, was er um sich herum errichtet hatte, um vorübergehend alles von sich fernzuhalten. Schließlich sagte er: »O mein Gott.« Aber das war auch schon alles, was er herausbrachte. Er hob den Kopf und schaute zum Himmel auf, wo graue Wolken drohten, den Tag zu verdüstern.
Als Havers wieder sprach, klang ihre Stimme nicht mehr hart, sondern behutsam. Diese Veränderung traf ihn ebenso, wie ihre Worte es getan hatten. »Warum sind Sie hier, Sir? Warum sind Sie zu ihrem Cottage gefahren? Haben Sie etwas Neues über sie herausbekommen?«
»Ich dachte …« Er räusperte sich und wandte den Blick vom Himmel ab, um sie wieder anzusehen. Sie war so bodenständig, so unbeschreiblich real. Und er wusste, sie war auf seiner Seite. Aber das durfte ihn im Augenblick nicht beeinflussen. Denn wenn er Havers die Wahrheit sagte, würde sie sich sofort darauf stürzen. Allein die Tatsache, dass Daidre Trahair noch einmal gelogen hatte, wäre das Zünglein an der Waage. »Ich dachte, vielleicht würde sie mich nach Newquay begleiten wollen«, sagte er. »Das würde mir die Gelegenheit geben, noch einmal mit ihr zu reden und womöglich zu ergründen …« Er beendete den Gedanken nicht. Selbst in seinen eigenen Ohren klang es auf einmal so erbarmungswürdig verzweifelt. Aber genau das bin ich ja auch, dachte er.
Havers nickte stumm, als Hannaford um die Ecke des Cottages trat und durch den dicht stehenden Strandhafer und die Schlüsselblumen unter den Fenstern trampelte. Daidre Trahair sollte ruhig merken, dass sie Besuch gehabt hatte.
Lynley teilte ihr mit, was er vorhatte: Newquay, die dortige Polizei, die Geschichte von Ben Kerne und der Tod eines Jungen namens Jamie Parsons.
Hannaford war nicht sonderlich beeindruckt. »Das ist eine Sackgasse«, erklärte sie. »Was sollten wir mit der Geschichte anfangen?«
»Das weiß ich noch nicht. Aber mir scheint …«
»Ich will, dass Sie sich auf sie konzentrieren, Superintendent. Ich will alles wissen: sogar was sie während der Eiszeit getrieben hat – selbst wenn sie da erst … vier war. Oder fünf.«
»Ich gebe zu, dass es in ihrer
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