Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
diesem Markt gewesen wäre. Hier waren Frauen unterwegs, die ihr sehr ähnlich waren und die ihre Einkaufskörbe mit besonderen Leckerbissen für ihre Familien füllten.
An einem Stand grillte ein Mann ein Schwein am Spieß, und Madame Albertine kaufte zwei Brötchen mit gegrilltem Fleisch, um sie zusammen mit Belle unterwegs zu essen.
»Himmlisch!«, rief Belle und verdrehte verzückt die Augen. Etwas so Gutes hatte sie schon lange nicht mehr bekommen. »Ich glaube, ich will gar nicht mehr aus Marseille weg!«
Madame Albertine erstand außer all den Köstlichkeiten für ihr Festessen auch einen Weihnachtsbaum, den ein junger Bursche später in die Pension bringen sollte. Madame erzählte, dass sie daheim einen großen Karton mit Weihnachtsschmuck habe und Belle ihr beim Schmücken helfen könnte.
An diesem Abend ging Belle erst um Mitternacht zu Bett. Sie konnte kaum glauben, was für einen herrlichen Tag sie verlebthatte. Nach der langen, einsamen Zeit in Faldos Haus tat es gut, weibliche Gesellschaft zu haben und beim Einkaufen und Kochen und Schmücken des Weihnachtsbaums zu helfen. Mit Madame Albertine konnte man so gut plaudern, dass Belle ihr irgendwann von New Orleans, Faldos Tod und ihrer Enttäuschung über Miss Franks Reaktion erzählte. Zum Teil tat sie es, weil es guttat, sich auszusprechen, aber auch, weil sie ziemlich sicher war, dass Arnaud ihrer Gastgeberin mitteilen würde, dass Belle in einem Freudenhaus gearbeitet hatte – falls er es nicht schon getan hatte. Sie wollte die Geschichte lieber aus ihrem eigenen Blickwinkel schildern und sich nicht von ihm schlechtmachen lassen.
Als Belle sie nervös fragte, ob sie schockiert wäre, hob Madame Albertine auf typisch gallische Art die Schultern. »Warum sollte ich? Ich finde, Sie sind für Ihren Mut und Ihre Kraft zu bewundern.«
Belle wurde rot und fühlte sich sofort sehr viel besser.
*
Der Weihnachtstag war genauso schön. Erst ging Belle mit Madame Albertine zur Kirche, und obwohl der Gottesdienst in Latein abgehalten und die Choräle in Französisch gesungen wurden, freute sie sich an dem Weihrauchduft, den fein angezogenen Leuten und der schönen, alten Kirche.
Belle hatte ihr bestes Kleid angezogen. Es war aus blassblauem Crêpe de Chine und schmiegte sich wie eine zweite Haut an ihre Hüften. Es hatte eine Rüsche am Kragen und eine zweite, die auf dem Rücken von der Taille bis zum Saum verlief und den Stoff bei jedem Schritt leise rascheln ließ. Sie hatte es in New Orleans gekauft, als sie noch bei Martha gewesen war, es aber nie getragen, weil die Mädchen sagten, dass sie darin wie eine Gouvernante aussah. Belle wusste, dass das nicht stimmte; nur wurde bei Martha von den Mädchen erwartet, tiefe Dekolletés zu tragen.
Madame Albertine bewunderte das Kleid und fand, dass es wiegeschaffen für den Ersten Feiertag war. Sie schenkte Belle eine blaue Samtblume, die sie sich ins Haar stecken konnte und die perfekt zum Kleid passte.
Nach der Kirche kamen ein paar Freunde mit zu ihnen nach Hause, um etwas zu trinken. Erst jetzt fühlte Belle sich ein bisschen unsicher, da keiner von diesen Leuten Englisch sprach und alle sie anstarrten.
Madame Albertines Hausmädchen bereitete die gebratene Gans vor, während Madame sich um ihre Gäste kümmerte, aber als sich alle verabschiedet hatten, ging Belle mit Madame in die Küche, um zu helfen.
Das Essen sollte um drei Uhr serviert werden, und es gab nur drei Gäste, alles Herren. Bevor sie kamen, hatte Madame Albertine erklärt, dass es Geschäftsleute waren, die zu Weihnachten nicht bei ihren Familien sein konnten. Sie hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, am Weihnachtsfeiertag Bekannte, die sich sonst vielleicht einsam gefühlt hätten, zum Essen einzuladen.
Zum Glück sprachen alle drei Männer recht gut Englisch, und wenn sie auch immer wieder in ihre Muttersprache verfielen, redeten sie oft genug mit Belle, so dass sie sich nicht ausgeschlossen fühlte. Da sie vor dem Essen Champagner und später Wein trank, konnte Belle sich nicht die vollständigen Namen der Männer oder die Art ihrer Geschäfte merken. Aber es reichte, sie bei ihren Vornamen zu nennen – Pierre, Clovis und Julien.
Alle drei flirteten mit ihr und machten ihr ausgefallene Komplimente, und Madame Albertine schien sich zu freuen, dass sie so gut miteinander auskamen. Später spielten sie Karten, und Belle lernte ein paar Spiele, die sie noch nicht kannte. Gegen acht Uhr abends brachen die Herren auf, und als
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