Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
Schuhe unter dem Schrank, die Bürste, den Gesichtspuder und die Haarnadeln auf dem Frisiertisch und die drei Hüte auf der Kommode. Der Anblick erinnerte ihn an die Kabine, die er auf der Überfahrt nach Amerika mit Belle geteilt hatte. Schon damals hatte es ihn gerührt, wie sehr sie auf Ordnung achtete und wie sie dem kleinen Raum eine weibliche Note verlieh.
Im Geiste sah er vor sich, wie sie es sich mit einem Buch in ihrer Koje gemütlich machte, beim Lesen zerstreut eine Locke um ihren Finger wickelte und ab und zu aufblickte und ihn anlächelte.
Er schüttelte das Bild ab und wandte sich seiner Aufgabe zu, indem er Schubladen aufzog und Belles Garderobe überprüfte. Er war beeindruckt – obwohl ihre Sachen alle aus zweiter Hand stammten, waren sie von guter Qualität und hochelegant. Belle schien in den letzten zwei Jahren sehr stilsicher geworden zu sein.
Dann blätterte er in ihrem Skizzenbuch. Als er sah, dass sie ausschließlich Hüte gezeichnet hatte, war er seltsam bewegt, weil er sich daran erinnerte, wie sie ihm von ihrem Traum, eines Tages einen Hutsalon zu besitzen, erzählt hatte. Als er einige der Notizen unter den Entwürfen überflog, stellte er fest, dass sie inzwischen gelernt hatte, wie man einen Entwurf umsetzte; er glaubte nicht, dass sie dieses Wissen schon vor zwei Jahren gehabt hatte.
Jetzt suchte er systematisch, denn die Logik sagte ihm, dass sie nie das Risiko eingehen würde, das Geld, das sie verdient hatte und für die Rückkehr nach England brauchte, abends mitzunehmen.
Zuerst zog er sämtliche Schubladen heraus und schaute nach, ob etwas an ihren Unterseiten befestigt war. Als das nichts brachte, hob er die Matratze hoch und tastete sie ab. Er fuhr mit der Hand über die Rückwand des Kopfendes und drehte den Hocker vor dem Frisiertisch um. Als ihm allmählich die Ideen ausgingen, hielt er inne und schaute sich noch einmal im Zimmer um. Im Kaminabzug fand er nichts als Ruß. Dann fiel ihm die Schublade unten imSchrank auf. Sie war leer. Er zog sie ganz heraus, begutachtete die Unterseite und schob dann seine Hand in die Öffnung, in der die Schublade saß, und stieß auf eine Blechdose.
Etienne zog sie hervor und klappte den Deckel auf. In der Dose lag ein dickes Bündel Geldscheine. Er blätterte es rasch durch und schätzte die Summe auf weit über tausend Francs.
Er klappte die Dose zu, stellte sie an den Platz zurück, wo er sie gefunden hatte, schob dann die Schublade wieder hinein und richtete sich auf. Das war sehr viel Geld und der beste Beweis, dass Belles Kunden schwerreiche Männer waren, denn laut Gabrielle war sie nie öfter als an vier Abenden in der Woche ausgegangen. Es beeindruckte ihn, dass sie so viel gespart hatte – die meisten Mädchen in ihrer Lage hätten das Geld für Kleider und Schnickschnack ausgegeben. Paris war ein berauschender Ort, an dem ein hübsches Mädchen leicht auf den Gedanken kommen konnte, dass ihr die Welt zu Füßen lag. Aber Belle war in einem billigen Hotel geblieben, hatte Kleider aus zweiter Hand gekauft und Hüte entworfen, und wenn sie nicht mit einem Kunden zusammen war, hatte sie zweifellos davon geträumt, zu ihren Lieben zurückzukehren und einen Hutladen aufzumachen. Diese Vorstellung traf Etienne bis ins Herz und bestärkte ihn in seiner Entschlossenheit, notfalls ganz Paris auf den Kopf zu stellen, bis er sie gefunden hatte.
Wer also war dieser Monsieur Le Brun, den sie hatte treffen wollen?
Etienne sperrte das Zimmer ab und ging nach unten. Gerade als er auf dem letzten Treppenabsatz war, klopfte jemand an die Haustür. Gabrielle lief hin, um aufzumachen.
Der große, schlanke Mann, der an der Tür stand, nahm seinen Hut ab, als er Gabrielle sah. » Bonsoir. Je suis Noah Bayliss «, sagte er mit starkem englischem Akzent.
Etienne eilte die letzten Stufen hinunter. Gabrielle hatte ihm erzählt, sie habe diesem Engländer ein Telegramm geschickt, hatte aber nicht näher erklärt, wer er war.
»Ich spreche Englisch«, sagte Gabrielle in dem bestimmten Tonfall, den Franzosen meistens anschlugen, wenn Engländer ihre Muttersprache malträtierten. Sie wandte sich zu Etienne um und erklärte ihm rasch auf Französisch, dass Noah ein Freund von Belles Familie war und in den letzten zwei Jahren mehrmals nach Paris gekommen war, um sie zu suchen. Dann machte sie Noah mit Etienne bekannt und sagte zu Noah, dass Belle ihr Etiennes Namen genannt und ihn als vertrauenswürdig bezeichnet hatte.
Etienne kam näher und
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