Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
bedrückend.
Da sie in ihren Kleidern geschlafen hatte und weder eine Bürste noch Wasser zum Waschen hatte, legte sie sich wieder ins Bett, um darauf zu warten, was die Männer mit ihr vorhatten.
Trotz ihrer Angst musste sie wieder eingeschlafen sein, denn das Nächste, was sie mitbekam, war, dass sie von Sly geweckt wurde.
»Ich habe dir warmes Wasser gebracht, damit du dich waschen kannst«, sagte er, und im Zwielicht konnte sie Dampf aus einem Krug auf dem Waschtisch aufsteigen sehen. »Ein Kamm ist auch da. Ich komme in zehn Minuten wieder.«
Sly kam zurück, wie er gesagt hatte. Er nahm ihren Umhang vom Bett, fasste Belle bis zur Treppe am Arm, hob sie dann hoch und warf sie über seine Schulter, statt sie zu Fuß nach unten gehen zu lassen.
Jetzt fiel Tageslicht durch die Fenster, und Belle hatte Gelegenheit, ein bisschen mehr von seinem Haus zu sehen. Es war relativ groß – ungefähr sechs Zimmer in jedem der beiden Stockwerke, vermutete sie – und offensichtlich sehr alt. Die niedrigen Räume hatten Deckenbalken und unebene Dielenböden und nicht einmal Gasbeleuchtung. Durch ein Fenster auf dem Treppenabsatz erhaschte sie einen Blick auf Kühe, die in einen Stall getrieben wurden, und erkannte, dass sie sich im Haupthaus befand. Aber offensichtlich kümmerte nicht Sly sich um die Farm, sondern jemand anders, wahrscheinlich der Mann namens Tad. Dass jemals eine Frau herkam, konnte Belle sich nicht vorstellen, weil alles so staubig war und vernachlässigt wirkte.
Belle blickte von einem Mann zum anderen, als sie die Schale Porridge aß, die Kent ihr hingestellt hatte. Beide Männer schwiegen, und sie spürte, dass sie wegen irgendetwas uneinig waren, vermutlich ihretwegen.
»Kannst du lesen und schreiben?«
Kents Frage traf Belle unvorbereitet.
»Warum wollen Sie das wissen?«, fragte sie.
»Antworte einfach!«, blaffte er.
Ihr kam der Gedanke, dass es vielleicht eine gute Idee wäre, sich unwissend zu stellen, damit er weniger auf sie achtete. »Nein, kann ich nicht«, log sie. »Ich bin nie zur Schule gegangen.«
Er machte ein verächtliches Gesicht, als hätte er nichts anderes erwartet, und Belle hatte das Gefühl, einen Punkt für sich errungen zu haben.
»Was haben Sie mit mir vor?«, fragte sie.
»Frag nicht so viel«, gab er zurück. »Iss deinen Porridge auf, du wirst eine ganze Weile nichts mehr zu essen bekommen.«
Belle dachte sich, dass sie so viel wie möglich zu sich nehmen sollte, und aß nicht nur ihren Porridge, sondern noch dazu zwei dicke Scheiben Brot, die sie großzügig mit Butter bestrich. Sly schenkte ihr eine zweite Tasse Tee ein und zwinkerte ihr verschwörerisch zu.
Das Zwinkern hob ihre Lebensgeister, denn es schien ihr zu sagen, dass er auf ihrer Seite war.
Sie hatte den Tee kaum ausgetrunken, als Kent seinen Mantel anzog und sich einen Schal um den Hals schlang. Er langte nach ihrem Umhang, reichte ihn ihr und befahl ihr barsch, ihn anzuziehen.
Keine zehn Minuten später wurde sie aus dem Haus geführt, wo vor dem Eingang eine Kutsche wartete, wahrscheinlich dieselbe, die sie in der vergangenen Nacht hergebracht hatte. Sly half ihr zum Wagenschlag und hob sie hinein, während Kent noch einmal ins Haus zurückging. Die Sonne war herausgekommen, und obwohl sie fahl und winterlich war und die Bäume rings um das Haus keine Blätter trugen, wirkte die Szenerie recht freundlich.
»Haben Sie hier gelebt, als Sie ein Junge waren?«, wandte sie sich an Sly.
Er lächelte schief. »Ja. Ich konnte mir keinen schöneren Ort vorstellen, bis ich in deinem Alter war und von mir erwartet wurde, Kühe zu melken und bei der Ernte zu helfen.«
»Was hat Sie dazu gebracht, von einem Farmer zum Helfershelfer eines Mörders zu werden?«, fragte sie unverblümt.
Er zögerte einen Moment, ehe er antwortete – weil er ein schlechtes Gewissen hatte, wie Belle hoffte. »Ich würde vorschlagen, du unterlässt derartige Fragen in Zukunft«, sagte er und sah sie streng an. »Und sag nichts, was Kent wütend machen könnte. Er verliert schnell die Beherrschung.«
Belle wurde wieder an den Händen gefesselt, bevor sie den Hof verließen, und neben das Fenster gesetzt. Das Rollo war heruntergezogen, so dass sie nicht sehen konnte, wohin sie fuhren. Wieder saß Kent neben ihr und Sly ihnen gegenüber, aber sein Rollo blieb oben, und er konnte aus dem Fenster schauen.
Das Rollen der Wagenräder und das stetige Hufeklappern der Pferde machten Belle schläfrig, aber obwohl ihr
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