Doch du wirst nie vergessen: Roman (German Edition)
nennt man sie Dirty Mary. Das kann aufs Gehirn schlagen, weißt du.«
»Aber wird sie denn nicht andere Leute anstecken?«, fragte Belle entsetzt.
»Oh, sie fickt nicht mehr«, sagte Martha so gelassen, als würden sie besprechen, was es zum Frühstück geben sollte. »Sie macht es nur noch französisch.«
»Was heißt das?«, fragte Belle, obwohl ihr schwante, dass sie es eigentlich nicht wissen wollte.
»Sie nimmt ihn in den Mund.« Martha rümpfte angewidert die Nase. »Viele Mädchen machen das. Man kann nicht schwanger davon werden und sich auch keine Krankheiten einfangen. Du hast die Mädchen bestimmt schon über das Französische Haus weiter unten in der Straße reden gehört – dort wird das gemacht.«
Belle wand sich innerlich.
»Ach was, mach nicht so ein Gesicht«, sagte Martha lächelnd. »Es geht schnell und ohne große Umstände, man braucht nicht einmal ein Bett. Es hat eine Menge Vorteile.«
Belle hatte mehr als genug über »Französisch« gehört, aber sie wollte wissen, was mit Mary und der Blonden mit den fehlenden Fingern passieren würde.
»Mary kommt vor Gericht, aber wahrscheinlich kommt sie mit einer Geldstrafe davon. Die andere wird ins Krankenhaus gehen.«
»Aber wie soll sie denn ohne Finger zurechtkommen?«, fragte Belle.
Martha lächelte und tätschelte Belles Schulter. »Hör auf, dir über andere Leute den Kopf zu zerbrechen, und geh schlafen. Morgen möchte ich mit dir über deine Zukunft sprechen.«
KAPITEL 16
»Du bleibst einfach hier und schaust dir an, was Betty macht«, sagte Martha energisch. Sie zeigte auf den niedrigen Hocker hinter dem Wandschirm und das kleine Loch im Bezug des Schirms, durch das Belle im Sitzen spähen konnte. »Pass auf, dass du alles mitkriegst: Wie sie überprüft, ob er Syphilis hat, ihn wäscht und all das. Du sitzt mucksmäuschenstill hier und lernst!«
Belle war vorgewarnt worden, dass Martha auf diese Weise neue Mädchen einwies, deshalb war der Schock nicht allzu groß. Und Betty war erstaunlich offen bezüglich ihres Gewerbes.
Belle mochte das kecke Mädchen aus Atlanta. Sie war witzig, warmherzig und immer zum Plaudern bereit.
»Wir passen alle gut auf, dass wir auf unsere Kosten kommen«, sagte Betty mit einem frechen Grinsen. »Ich meine, das ist unser Job. Also ich denke dabei an schweinische Sachen und bringe die Männer dazu, dass es mir auch Spaß macht, und weißt du, Süße, manchmal ist es wirklich gut.«
Betty nannte die Dinge ungeniert beim Namen, aber Belle spürte, dass auch die anderen Mädchen weder den Job verabscheuten noch unglücklich waren. Sie alle lachten oft und gern und zeigten lebhaftes Interesse an allem, was vorging. Die Mädchen stammten alle aus ärmlichen Verhältnissen, aber obwohl jede von ihnen diese Tatsache erwähnt hatte, schien Armut nicht der einzige Grund zu sein, warum sie Huren geworden waren. Belle hatte das Gefühl, dass es eine Mischung aus Abenteuerlust und dem Wunsch, begehrt zu werden, sowie Geldgier und Trägheit war, denn sie wussten genau, wie anstrengend eine geregelte Arbeit war.
Belle war Martha dankbar, dass sie ihr fast zwei Wochen Aufschub gegönnt hatte, bevor sie den Löwen vorgeworfen wurde, denn in dieser Zeit hatte die träge, sinnliche Atmosphäre im Haus Wirkung gezeigt. Immer wieder ertappte sie sich bei Tagträumen darüber, was für ein Gefühl es gewesen war, von Etienne in den Armen gehalten und geküsst zu werden, und sie musterte prüfend die Männer, die ihr begegneten, und wünschte sich, von ihnen begehrt zu werden. Sie sehnte sich danach, ein schönes Seidenkleid zu tragen wie die anderen Mädchen, sich von Cissie beim Frisieren helfen zu lassen und auch mehr Geld zu verdienen.
Vielleicht hatte die heitere Atmosphäre im Haus die Nachwirkungen der traumatischen Erlebnisse in Paris so weit gelindert, dass sie sich fast schon auf den Tag freute, an dem sie wurde, was Martha als »Kurtisane« bezeichnete. Aber ihre Spaziergänge durch New Orleans hatten ihr bewusst gemacht, dass ihr auch andere Möglichkeiten offenstanden. Sie befand sich nicht mehr in der verzweifelten Lage, für immer an einem Ort festgehalten und zu einer Beschäftigung gezwungen zu werden, die ihr widerwärtig war.
Das Erste, was sie von New Orleans sah, waren die Farbigkeit, die Musik und die Dekadenz der Stadt: Es war, als würde rund um die Uhr, an sieben Tagen der Woche, eine einzige große Party gefeiert. Erst auf den zweiten Blick stellte Belle fest, dass es nur darum ging,
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