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Dog Boy

Dog Boy

Titel: Dog Boy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Hornung
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einzudringen. Zudem entging das Rudel der großen Ausrottungsaktion, die die Stadt von fast allen hungernden streunenden Hunden befreite.
     
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    Das Tageslicht und die warme Luft lockten sie aus der Höhle. Romotschka stellte sich in die Gasse vor den Baustellen und holte tief Luft. Überall lagen noch dicke Schneewehen, doch die Bäume waren nackt und vom Weiß befreit. Irgendetwas an ihrem schwarzen Klöppelwerk, das sich vor dem Himmel abzeichnete, ließ an den Frühling denken, obwohl keine einzige grüne Knospe zu sehen war. Der Schnee, der sich an den Stämmen gesammelt hatte und jetzt vom schwachen Sonnenlicht besprenkelt wurde, wirkte besiegt und ungefährlich. Allmählich verlor er den Halt und wurde in das darunterliegende Schmelzwasser hinabgesogen. Romotschka konnte das Wasser riechen, es war dumpfig von den verfaulten Herbstblättern und roch verheißungsvoll nach Pilzen. Er hörte es leise vor sich hingluckern und wartete darauf, dass es hervorströmte und die Wiesen schlammig wurden. Die Wolkenherde oben am blauen Himmel war in der Mitte hellgrau gefärbt. Wolken, aus denen es nicht mehr schneien würde. Sein Herz hüpfte vor Freude. Diese Frühlingsregenwolken machten ihn überglücklich! Mit trappelnden Schritten malte er einen engen Kreis in den Schnee. Schon bald würden sie alle im Wald spielen, im Gras, im grünen, grünen Gras! Alles Kranke und Sterbende würde mit dem Winter verschwinden, sie würden wieder Fett ansetzen, ihre knochigen Körper würden sich glätten, und sie alle würden größer werden; die Welt würde wieder wie neu sein.
    An jenem Abend beharrte Romotschka darauf, dass sie nach draußen gingen und sich etwas Frisches, Warmes und Blutiges zu fressen besorgten. Er hatte endgültig genug von den gefrorenen Kadavern, hatte genug von ihrem Gestank, hatte genug von der mühseligen Arbeit, das gefrorene Fleisch vom Knochen zu nagen, hatte genug davon, auf seine eigene Nahrung zu urinieren, bis sie weicher wurde.

II
    Ein etwa sechsjähriger Junge schlängelt sich im Wald zwischen Erlen, Linden, Eichen und Birken hindurch. Es ist eine malerische Jahreszeit: Zartes Sonnenlicht gleitet über fleckige Baumstämme; dünne weiße Zweige und herabhängende Blätter wiegen sich im Wind. Die Luft ist von Blütenstaub und Vogelgezwitscher erfüllt. An den Ebereschen am Waldrand und am Friedhof hängen Büschel weißer Blüten. Goldnesseln, Maiglöckchen und Sauerklee sprenkeln die Lichtungen. Der liebliche Duft von Lindenblüten hängt in der Luft, und an den Linden mischt sich das Summen der Honigbienen unter das leise Vogelgezwitscher, das Sirren der Stromkabel und den Verkehrslärm, der von der fernen Landstraße herüberschallt.
    Dieser Ort ist eine dieser sonderbaren Gegenden von Moskau, in denen der Wald die Herrschaft übernommen hat und die Stadt kaum mehr ist als ein Geräusch. Es ist ein kleines Grenzgebiet – Teil eines zerrissenen Niemandslands, unterbrochen von Stadtvierteln, noch mehr Stadtvierteln, dann Feldern, Datschen und Dörfern –, der allmähliche Beginn der endlosen Wildnis, die sich nordwärts ins Nichts erstreckt.
    Am Rande der unbebauten Landschaft steht eine Mischung aus älteren Hochhausblocks mit blaugekachelten Fassaden und neuen Siedlungen – Versuche, das Grasland und die Sümpfe zu kultivieren, voller Begeisterung zur Zeit der Perestroika begonnen, aber nach immer größeren Verzögerungen wieder aufgegeben. Am Rande der unbestellten Felder, der Sümpfe und Birkenwäldchen ragen Betonfassaden und die Spitzen verrosteter Stahlträger in denHimmel. Die Strommasten führen tief hängende Leitungen über die Felder in den Wald. Unter einem der in der Nähe stehenden Masten drängen sich ein paar grüne und braune Datschen – die Reste eines abgeschiedenen Dorfes.
     
    Der Junge schlurft durchs Laub und kickt ein paar Steine und Früchte mit dem Fuß vor sich her.
    Die Bewohner des Müllbergs und des Waldes kennen ihn und lassen ihn in Ruhe, machen sich manchmal sogar die Mühe, ihm aus dem Weg zu gehen. Man erkennt ihn leicht an seinem langen schwarzen Haar, das ihm in einer verfilzten, wirren, strähnigen Masse von der Stirn bis auf den Rücken hinabfällt. Wie alle anderen ist er schmutzig und trägt mehrere Lagen bunt zusammengewürfelter Kleidungsstücke und Lumpen. Für ein Kind aus dieser Gegend ist er ungewöhnlich gesund, sein Körper aufrecht und drahtig. Er ist zäher und gelenkiger als ein normales Kind und flinker, als man es von Menschen

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