Dog Boy
außer Romotschka.
Grauer Bruder bemerkte Romotschkas Stimmungswechsel und war bemüht, sich etwas Freches einfallen zu lassen, um ihn wieder aufzuheitern. Er versuchte einen alten Mann zu erschrecken, doch Romotschka zockelte nur gedankenversunken hinter ihm her. Sie jagten halbherzig eine Katze, gaben aber bald auf und trotteten zurück nach Hause. Romotschka markierte den Pfosten nicht. Ihn schmerzte der Verrat seiner Familie. Er konnte die Stadt nicht an ihnen riechen, und so hatten sie ihre Ausflüge dorthin vor ihm verborgen. Die Hunde, die sich gegenseitig nie etwas verschwiegen, hatten ihn belogen. Alle, auch die Menschen vom Berg, gingen regelmäßig in die Stadt.
Als sie über die Freifläche zurückschlenderten, leckte Grauer Bruder mit ungewohnter Zärtlichkeit seine Hand. Er flitzte nicht davon, wie er es sonst immer tat, und Romotschka war tief gerührt. Normalerweise hielt sich Grauer Bruder nicht mit Freundlichkeiten auf.
In der Höhle setzte Romotschka sich abseits von den anderen hin und blickte sie finster an. Mamotschka vertrauteihm nicht und dachte, dass er zur Nahrungssuche nicht taugte. Ab heute, sagte er sich, suche ich in der Stadt nach Nahrung. Er funkelte sie zornig an – Mamotschka, die, ohne etwas von seiner Entschlossenheit zu merken, im Nest lag, und Goldene Hündin, die ihn mit gerunzelter Stirn von ihrem Wachtposten aus anstarrte. Ihr könnt mich nicht aufhalten, dachte er bei sich. Euch werd ich’s zeigen.
~
Romotschka war mit Weiße Schwester und Grauer Bruder gut gelaunt auf dem Heimweg. Er trug ihre Beute in einer großen doppelten Plastiktüte, die er über die Schulter geworfen hatte. Von Zeit zu Zeit mussten sie stehenbleiben, und er ließ die Tüte auf den Boden sinken, um zu verschnaufen. Als Weiße Schwester und Grauer Bruder mit wedelndem Schwanz begierig daran schnupperten, seufzte Romotschka mit übertriebener Genugtuung und übermäßigem Stolz, und als sie zum letzten Treffpunkt am Zaun kamen, schwang er die Tüte mit einer weiten Bewegung durch die Luft, um für die anderen eine Botschaft zu hinterlassen. Dann urinierte er zum ersten Mal, seit ihn Grauer Bruder in die Stadt mitgenommen hatte, wieder an den letzten Pfosten. Er, Romotschka, hatte etwas mitgebracht, etwas ganz Besonderes! Auf dem Weg durch das Rispengras der Freifläche ließ er Grauer Bruder an seinen Fingern lecken.
Alle würden erfahren, dass er auf Nahrungssuche ging und dass er gut darin war. Jeder Fremde, der ihren Treffpunkt besuchte, würde erfahren, dass er zur Familie gehörte. Während sie der Höhle immer näher kamen und sich dabei von der Stadt und den Menschen immer weiter entfernten, erfüllte jeder Atemzug ihn mit einem süßen Glücksgefühl. Entzückt lächelte er in sich hinein. Es war riskant gewesen, aber gut gegangen. Er war außer sich vor Glück, auch wenn ihn seine Tat noch ein bisschen schockierte. Seine Ohren glühten immer noch.
Romotschka, Weiße Schwester und Grauer Bruder hatten in dem Gassengewirr zwischen den Läden, den Wohnblocks und der Metrostation einige Stunden lang Fährten verfolgt, ohne viel zu entdecken. Die einzige Katze, die sie jagten, war ihnen entwischt; bei ihrer Flucht war sie auf Romotschka zugelaufen, doch der hatte sich bei seinem Hechtsprung verschätzt.
Als er dann sah, wie Weiße Schwester und Grauer Bruder die Nasen hoben, wusste er, dass die Frau, die auf dem Fußweg auf sie zugestapft kam, etwas Gutes dabeihatte. Von der Stärke seiner Eingebung war ihm einen Augenblick schwindlig geworden. Ohne nachzudenken, hatte er seine Keule gepackt, war der Frau in den Weg getreten und hatte fest nach ihren Knien geschlagen. Die Hunde waren verwirrt im Schatten geblieben, denn sie hatten nicht verstanden, was er vorhatte.
Der Schlag verfehlte sein Ziel. Die Frau wich einen Schritt zurück, ließ ihre Tüten fallen und gab ihm eine Ohrfeige, die ihn zu Boden warf.
»Dreckskerl! Bomsch! Bestie!«, schrie sie und trat auf ihn zu, um ihm einen Tritt zu versetzen, doch sie kam nicht dazu. Die beiden Hunde stürzten sich auf sie. Weiße Schwester stand mit funkelnden schwarzen Augen vor Romotschka, knurrte und sprang an der Frau hoch, um nach ihrem Gesicht zu schnappen. Grauer Bruder umkreiste sie und schoss immer wieder von hinten heran, um sie zu beißen. Vor Schmerz schreiend fuhr sie herum, um ihm ins Augezu blicken. Romotschka schnappte sich die beiden Einkaufstüten, rannte los und schleppte sie die Straße entlang, bog um die Ecke in
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