Dogma
mich geirrt», sagte sie schließlich verträumt. «Oder vielleicht ist es die Luft hier in der Türkei. Was meinst du?»
«Diese Luft? Hier drin? Na, mich macht sie nicht gerade an, aber von mir aus, auch das.»
Düstere Gedanken drängten wieder an die Oberfläche. «Ich will hier nicht sterben, Sean.»
«Du wirst hier nicht sterben», erwiderte er. «Wir finden einen Ausweg.»
«Versprochen?»
«Versprochen, verdammt.»
Sie lächelte – und dann brach alles wieder über sie herein. Was sie in den vergangenen Tagen durchgemacht hatte, wie sie hierhergelangt waren. Eine Flut von Gedankenfetzen, die ihr in rascher Folge durch den Kopf schossen.
«Dieser Kerl …» Ihr war etwas eingefallen. «Der Bombenleger, er hat etwas zu mir gesagt. Ich sollte ein paar Dinge nachschlagen. Er sagte, es sei wichtig.»
«Und was?»
«Er hat mich gefragt, ob ich schon mal was von einer Operation Ajax gehört habe.»
Tess konnte Reillys Gesicht in der Dunkelheit nicht sehen, aber das war auch nicht nötig. Sein Schweigen und sein Atem sagten alles. Er wusste, was Operation Ajax war.
«Was sonst noch?», fragte Reilly vorsichtig.
«Er sagte, ich solle herausfinden, was am Morgen des 3. Juli 1988 passiert ist.»
Wieder schwieg Reilly und atmete tief durch.
«Was ist?», fragte Tess.
Nach kurzem Zögern kam Reillys Antwort. «Ich würde sagen, unser Mann verrät uns, dass er Iraner ist. Und dass er ernsthafte Probleme in Sachen Wutbewältigung hat.»
«Klär mich auf.»
Reilly lachte zynisch. «Operation Ajax ist der Codename für eine Sache, wo wir mal Bockmist gemacht haben. Gewaltigen Bockmist. Im Iran, damals in den Fünfzigern.»
Tess verzog das Gesicht. «Autsch.»
Reilly nickte. «Allerdings. Das war kein Glanzstück von uns.»
«Was ist passiert?»
«Zu Zeiten des Ersten Weltkriegs steuerten die Briten die Ölförderung im Iran», begann er. «Damals, als es das Empire noch gab. Und sie haben das Land regelrecht ausgebeutet. Sie haben den gesamten Profit eingestrichen und der einheimischen Bevölkerung nur ein paar Almosen hingeworfen. Darüber sind die Iraner – zu Recht – auf die Barrikaden gegangen, aber die Briten haben sich einen Dreck darum geschert und Verhandlungen verweigert. Das ging dreißig, vierzig Jahre lang so, bis die Iraner einen gewissen Mohammad Mossadegh zum Premierminister gewählt haben. Wir reden hier von der ersten demokratisch gewählten Regierung des Irans. Mossadegh hat einen überwältigenden Sieg errungen und sofort Maßnahmen eingeleitet, um die Ölförderung im Iran wieder unter die Kontrolle des Irans zu bringen, und zwar unter staatlicher Leitung. Dafür war er gewählt worden.»
«Das hat den Briten bestimmt sehr gefallen», bemerkte Tess.
«Und wie. Mossadegh musste weg. Und rate mal, wer mitgeholfen hat, ihn zu stürzen?»
Tess verzog das Gesicht. «Die CIA ?»
«Natürlich. Sie haben alle Hebel gegen ihn in Bewegung gesetzt, und es ist ihnen gelungen. Sie haben Dutzende Leute im Iran bestochen oder erpresst, Regierungsmitglieder, Pressevertreter, Militärs und Geistliche. Sie haben dem Mann und allen, die ihm nahestanden, die unmöglichsten Dinge in die Schuhe geschoben, und dann haben sie Horden bezahlter Rowdys durch die Straßen marschieren lassen, die seine Verhaftung forderten. Der arme Kerl, der im Grunde nichts weiter war als ein selbstloser Patriot, hat den Rest seines Lebens im Gefängnis zugebracht. Seinen Außenminister haben sie hingerichtet.»
Tess seufzte. «Und an seiner Stelle haben wir dem Schah zur Macht verholfen.»
«Jep. Unserem lieben Marionettendiktator, bei dem wir uns darauf verlassen konnten, dass er uns das Öl billig verkauft und ganze Schiffsladungen unserer Waffen kauft. Für die nächsten fünfundzwanzig Jahre regierte unser Mann sein Land mit eiserner Hand und stützt sich auf eine Geheimpolizei, die wir ausgebildet haben und die, verglichen mit der der KGB, ein Haufen Schlappschwänze war. Das ging so bis 1979, als Ajatollah Khomeini das wütende Volk zum Aufstand führte und den Schah in Schimpf und Schande aus dem Land jagte.»
«Und damit hatten wir eine islamische Revolution, die uns hasst.»
«Leidenschaftlich», fügte Reilly hinzu.
Tess verzog frustriert das Gesicht, dann dämmerte ihr plötzlich etwas. «Mossadegh war kein religiöser Führer, oder?»
«Nein, überhaupt nicht. Er war ein Karrierediplomat, ein gebildeter, fortschrittlicher Typ. Der Bursche hatte einen Doktor in Rechtswissenschaften von einer
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