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Dogma

Dogma

Titel: Dogma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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diesen Augenblick so lange wie möglich ausdehnen. Ihre Blicke trafen sich. Es war nicht das erste Mal, und wie zuvor wandte sie sich nicht ab. Sie sah ihn nur an mit einem Ausdruck, der unmöglich zu deuten war und der in seinem Inneren ein wahres Feuerwerk der Gefühle entfachte. Obwohl sie einander bereits ein halbes Dutzend Mal begegnet waren, hatten sie nie mehr als ein paar höfliche Worte gewechselt. Stets war ihr Vater oder ihr Bruder in der Nähe gewesen, wodurch sie gezwungen war, sich hastig zurückzuziehen. Vor allem Qassem gebärdete sich äußerst besitzergreifend, und Maysoon folgte wortlos dem unausgesprochenen Befehl. Einmal hatte Conrad bei ihr Blutergüsse an Auge und Mundwinkel bemerkt, aber er hatte keine Gelegenheit gehabt, sie zu fragen, wie es dazu gekommen war. Er war nie allein mit ihr, konnte nie so frei mit ihr reden, wie er es gern getan hätte. Auch diese Begegnung würde nicht anders verlaufen, befanden sie sich doch in Sichtweite des Ladens. Er konnte nichts weiter tun, als ihr unverbindlich zuzunicken und hilflos mitanzusehen, wie sie vorbeiging, wobei auch sie ihm so lange wie möglich in die Augen blickte.
    Conrad unterdrückte den Drang, sich umzudrehen und ihr hinterherzuschauen, und trieb sein Pferd zum Trab an. Doch während er davonritt, konnte er an nichts anderes mehr denken. Diesen inneren Kampf hatte er schon mehrmals ausgefochten, aber er wusste noch immer nicht, wie er damit umgehen sollte. Bis vor kurzem war sein ganzes Erwachsenenleben von Opfer und Entsagung bestimmt gewesen. Er hatte sich einem strengen monastischen Orden verschrieben und gelobt, dessen Gesetze ohne Wenn und Aber zu befolgen. Wie jeder Mönch hatte er sich strikten Regeln unterworfen, jeglichem Besitz, Frau und Familie entsagt. Als Mönchskrieger hatte er zudem noch das Risiko auf sich genommen, durch einen Krummsäbel oder einen Pfeil vorzeitig den Tod zu finden. Dieses Opfer war ihn bereits teuer zu stehen gekommen, denn er hatte einen Teil von sich auf der blutgetränkten Erde von Akkon verloren, einen Teil, den er nie zurückbekommen würde.
    Aber all das gehörte nun der Vergangenheit an. Der Orden existierte nicht mehr.
    Jetzt war Conrad ein gewöhnlicher Bürger, frei von den extremen Einschränkungen seines bisherigen Lebens. Dennoch fühlte er sich zwischen den beiden Welten gefangen, und es fiel ihm immer noch schwer, mit seiner neugewonnenen Freiheit umzugehen.
    Es war schon schwer genug gewesen, bevor er sie zum ersten Mal gesehen hatte.
    Jetzt, da er an sie dachte, fiel ihm eine Regel des Templerordens ein, die den Rittern verbot, irgendwelche Tiere zu jagen – bis auf Löwen. Eine sonderbare Regel, denn in den Gebieten, in denen die Templer lebten und kämpften, gab es keine Löwen. Früh in seinem Ordensleben hatte man Conrad gelehrt, dass es sich um eine Anspielung auf die biblische Symbolik handelte: «Denn euer Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge.» Conrad wusste, dieser Vers bezog sich auf den Kampf des Menschen gegen die Bestie der Begierde, einen Konflikt, den alle Ritter ständig zu überwinden suchten.
    Er zweifelte, ob es ihm noch lange gelingen würde.
    Das steigerte seinen Aufruhr noch, jetzt, da die Vergangenheit, die er glaubte hinter sich gelassen zu haben, ihn eingeholt und bei der Kehle gepackt hatte.
    Er hatte eine Aufgabe zu erfüllen.
     
    «Es ist vorbei, Conrad», sagte Hector de Montfort. «Du weißt, was diese Ungeheuer in Paris getan haben. Nach allem, was wir wissen, sind auch die Übrigen inzwischen auf dem Scheiterhaufen geendet.»
    Sie saßen mit gekreuzten Beinen an einem kleinen Feuer unter dem Sternenhimmel. Das Dach des verfallenen Hauses, das bereits seit Jahrzehnten unbewohnt war, war längst eingestürzt. Drei ehemalige Waffenbrüder, raue Männer, die einer ungerechten Einkerkerung entgangen waren und sich jetzt in einem fremden Land ein neues Leben aufbauten.
    Conrad, Hector und Miguel von Tortosa.
    Ein paar Wochen zuvor hatten sie niederschmetternde Nachrichten erreicht. Im Februar hatten mehr als sechshundert ihrer Ordensbrüder, die in Frankreich verhaftet worden waren, ihre früheren Geständnisse widerrufen. Sie hatten beschlossen, ihren Orden gegen die ungeheuerlichen Anklagen des Königs zu verteidigen. Ein tapferer Entschluss, jedoch mit verheerenden Folgen: Dass sie ihre Geständnisse widerriefen, deutete die Kirche als Rückfall in die Häresie, womit sie zum Tod auf dem

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