Dohlenflug
der Verdächtigen wieder ganz nach vorn.«
Jacobi wusste, was sie
meinte. Wenn Chrissie nicht die leibliche Tochter von Schleißheimer
war, gewann ein allfälliger Missbrauchsverdacht noch weiter an
Gewicht.
»Ist nicht von der Hand
zu weisen«, pflichtete er ihr bei, »aber Regenmandl und
Marageter sind deshalb noch lange nicht aus dem Schneider.«
»Ich weiß«,
seufzte Melanie Kotek. »Wie sieht’s eigentlich mit einer
Haussuchung beim Herrn Bankdirektor aus?«
»Nach der Indizienlage
dürfte sich Richterin Zehentner kaum zieren. Ich lass dir die
Anordnung an den Posten Hofgastein faxen.«
»Und Marageter?«
»Hältst du das für
wirklich notwendig?«, fragte Jacobi ungnädig zurück. Es
schmeckte ihm nicht, gegen einen ehemaligen Kollegen vorgehen zu müssen.
»Nicht unbedingt. Aber
auch er zählt zu den Verdächtigen und hat mehr als ein Motiv. Außerdem
rechnet er jetzt noch nicht mit einer Haussuchung, wir hätten also
das Überraschungsmoment auf unserer Seite.«
»Also gut, wenn du
darauf bestehst. Aber ich hoffe doch sehr, du gehst so diskret wie möglich
vor und ziehst neben den vorläufigen Hauptverdächtigen auch
andere Personen in Betracht: zum Beispiel die Gespielinnen des Mordopfers,
die uns noch nicht namentlich bekannt sind, und deren Mütter. Es war
doch von mehreren Lolitas die Rede, mit denen Schleißheimer Kontakt
gehabt haben soll?«
»Ja – leider.
Aber mal was anderes: Wie oder wo ist die Bemerkung von der
Krampus-Sitzung einzuordnen?«
»Das muss ich dir
wirklich erklären, Katze? Erinnerst du dich nicht an den Mord am
Hamburger Industriellen Achim Vulpius?«
»Natürlich.«
»Der Mörder hatte
sich den Abend des fünften Dezembers und den Kaiser-Franz-Platz in
Bad Hofgastein für die gut vorbereitete Tat ausgesucht. Warum wohl?«
»Na, weil das Gasteiner
Tal eine der Hochburgen des Perchten-Brauchtums ist und es dort am fünften
Dezember dementsprechend hoch hergeht. Die diesbezügliche Hysterie
bei Jung und Alt ist durchaus vergleichbar mit der beim Karneval im
Rheinland. Aber was soll das mit Schleißheimers Bemerkung zu tun
haben?«
»Die Krampus-Passen im
Pongau sind für mich nur eins von vielen Synonymen für das dicht
vernetzte Vereinswesen im Innergebirg. Abgesehen von Feuerwehr, Rettung,
Bergrettung, Landjugend, den vielen Kultur-, Brauchtums- und Sportvereinen
gibt es noch jede Menge andere Vereine und Klüngel mit
unterschiedlichsten Zielsetzungen. Kurz und gut: Du findest dort einen Bevölkerungsquerschnitt
vor wie sonst nirgendwo, angefangen von Hoteliers und Erbhof-Besitzern
über mittelständische Firmenchefs, Akademiker und Facharbeiter
bis hin zu Hausmeistern und Abwäschern.«
»Aha. Und mit deiner
kaleidoskopartigen Schilderung willst du mich jetzt schonend auf die
unvermeidlichen klassenübergreifenden Verfilzungen und Vernetzungen
im Pongau vorbereiten. Ist es das?«
Anstelle einer Antwort hob
Jacobi seine Schultern und breitete die Arme aus, während er die
Handflächen nach oben drehte.
7
VON DER HEKTIK des Vortages
war beim zweiten Ausflug nach Gastein nur noch wenig zu merken, nicht
zuletzt deshalb, weil der Regionalfunk zwar in halbstündigen
Intervallen, aber doch sehr zurückhaltend über die Ermordung
Schleißheimers berichtete. Ein entspannt chauffierender Feuersang
gestaltete die Fahrt im A4 in das Tauerntal durchaus angenehm –
nicht nur für Beifahrerin Kotek, sondern auch für die Lenkerin
des zweiten Audi hinter ihnen, Dr. Cornelia Wächter, Forensikerin und
Psychologin des LGK Salzburg. In entsprechendem Abstand folgte dann als
dritter Wagen der VW Touran der Spurensicherung. Am Volant saß
Stubenvoll, der das Krankenhaus auf Revers verlassen hatte. Ihm gehe es
schon wieder viel besser, hatte er der Einsatzleiterin Oberleutnant Kotek
versichert, aber er wolle seinen empfindlichen Magen schonen und fahre
deshalb lieber selbst.
Eben hatte man den
Klammtunnel durchquert, und jetzt, nachdem sie auch die Burgruine
Klammstein passiert hatten, verbreiterte sich das Trogtal allmählich.
Der tiefblaue Herbsthimmel mit weißen Zirruswolken bildete zu den
hell- und dunkelgrün gescheckten Mischwaldfluchten an den Flanken der
Gasteiner Grasberge einen reizvollen Kontrast. Noch fehlte in den Wäldern
das satte Orangegelb der Lärchen, aber das Flimmern der fahlen
Birkenblätter zwischen immergrünen
Weitere Kostenlose Bücher