Dohlenflug
Nadelhölzern sorgte
schon jetzt für eine herbstlich melancholische Stimmung. Die dunklen
Akzente, von Blutbuchen und verschiedenen Ahornarten da und dort in das
bunte Mosaik gesetzt, nahmen nur scharfäugige Beobachter wie
Feuersang wahr.
Drei Minuten später
rollte der Konvoi bereits an Dorfgastein vorbei, einer idyllischen, leicht
verschlafenen Ortschaft von vielleicht zweitausend Seelen.
Zwischen Dorfgastein und den
nächsten Ansiedlungen Harbach, Luggau und Laderding konnte man auf
einer langen Geraden etwas flotter fahren. Dabei passierte man nur ein
paar Bauernhöfe und Wohnhäuser am Fuß der Grasberge und
auf Höhe des Hofgasteiner Bahnhofs zwei kleine Gasthäuser, von
denen eines in desolatem Zustand und nicht mehr bewirtschaftet war. Genau
dort verengte sich das Tal stark, die Bergflanken zu beiden Seiten rückten
nahe an die Bundesstraße heran, wichen aber schon einige hundert
Meter weiter wieder abrupt zurück und gaben den Blick frei auf den
Talkessel Bad Hofgasteins und auf die Gipfel der Hohen Tauern einige
Kilometer weiter südlich.
Am Hofgasteiner Kreisverkehr
Nord bog Feuersang links in die Salzburger Straße ein, während
Dr. Wächter und Stubenvoll auf der Bundesstraße zur Ortschaft
Lafén weiterfuhren.
Mit einem Mal genervt von der
eigenen disziplinierten Fahrweise knallte Feuersang nun doch das Blaulicht
auf das Wagendach, um die Dreißiger-Beschränkung im Ortsbereich
nicht einhalten zu müssen.
»Männer«,
kommentierte Melanie Kotek lakonisch. Feuersang grinste. Rasch fuhr er
über Schulstraße, Wasserfallgasse und Höhenweg die
einfachste Route zum Gendarmerieposten Bad Hofgastein und hielt pünktlich
um neun Uhr fünfundvierzig auf dem kleinen Parkplatz gegenüber
dem ehemaligen Bezirksgericht.
Kotek stieg aus, Feuersang
und Wächter fuhren weiter. Ihre Zielpersonen waren Chrissie Schleißheimer
und deren Großmutter, Frau Margit Thame. Salma Schleißheimer
hatte sich für den Tag freigenommen und wartete bereits auf dem
Gendarmerieposten. Ihre Tochter hatte sie, wie schon am Vortag angekündigt,
zu Hause in Obhut ihrer Großmutter zurückgelassen. Kotek war
von Postenkommandant Bezirksinspektor Matthias Höllteufel schon vorab
darüber informiert worden und hatte deshalb Arbeitsteilung verfügt.
Natürlich durfte Chrissie nicht ohne Beisein der Mutter einvernommen
werden, sodass zunächst nur vom Gasteiner Amtsarzt Dr. Vitus Ortner
und der Psychologin Dr. Wächter festgestellt werden sollte, ob sie
aus medizinischer Sicht vernehmungsfähig war. Wenn ja, sollte sie zu
ihrer Mutter gebracht werden.
Das als Vernehmungsraum
benutzte Büro am Gendarmerieposten Bad Hofgastein war ebenso winzig
wie das angrenzende zweite Amtszimmer. Verglichen mit den beiden Kammern
prunkte das Referat 112 des LGK Salzburg am Franz-Hinterholzer-Kai mit großzügigen
Zimmerfluchten, obwohl auch dort ständige Platznot herrschte. Zwei im
rechten Winkel zusammengeschobene Schreibtische und zwei Aktenschränke
füllten den Raum fast zur Gänze, vier Personen fanden kaum darin
Platz. Die Neuankömmlinge fühlten sich wie in einer
vollgestellten Studentenbude.
An einem der Schreibtische
hatte Salma Schleißheimer Platz genommen, face to face mit
Oberleutnant Kotek. Vor den Frauen lagen zwei Tageszeitungen mit den
jeweiligen Überschriften: »Ritualmord im Gasteiner Tal!«
und »Der Schlächter vom Schwalbenkar!«.
Am zweiten Schreibtisch,
rechts von Kotek, saß die Protokollführerin und Gendarmerieschülerin
Tina Hohenauer an einem PC der vorgestrigen Generation. Die hübsche
junge Frau absolvierte hier ihre Probezeit. Am Aktenschrank hinter ihr
lehnte Postenkommandant Höllteufel, ein hagerer eisgrauer Mittfünfziger.
Falls Feuersang, Dr. Wächter
und Chrissie auch noch dazustoßen, werden wir hier ziemlich intim
aneinanderkleben, dachte Kotek belustigt. Allerdings vermittelte ihr
Gesichtsausdruck nichts weniger als Heiterkeit.
»Sie haben uns gestern
belogen, Frau Schleißheimer«, begann sie, nachdem sie die
relevanten Daten vorab auf ihren Rekorder gesprochen hatte. Zudem lief
noch ein Aufnahmegerät der Protokollführerin mit. »Ihr
Ehemann war nicht der Vater Ihrer Tochter Christine.«
»Er war Chrissies
Vater, wenn auch nicht ihr Erzeuger.«
»Und? Wer ist der
biologische Vater?«
»Ist das für Ihre
Ermittlungen wichtig?«
»Wir stellen hier die
Fragen, Frau
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