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Dohlenflug

Dohlenflug

Titel: Dohlenflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georg Gracher
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auch im Laderdinger Alpl die Augen offen zu halten, bis eure
     Leute da sind. Und noch was: Schickt bitte sofort einen Kollegen zu Frau
     Heinrich. Er soll bei ihr warten, bis die Spusi eingetroffen ist.«
    Kotek vermied es, im Beisein
     Lotte Heinrichs zu sagen, man solle nicht nur nach der lebenden Julie
     Ausschau halten. An Feuersang gewandt, meinte sie bedauernd: »Wird
     wohl wieder nichts mit Essen. Oder was soll ich Oskar sagen, warum wir die
     neuerliche Vernehmung der Schleißheimer auf die lange Bank geschoben
     haben? Weil du Hunger hattest?«
    Feuersang schnitt eine
     Grimasse, während Kotek bereits Stubenvoll anrief, ihn über den
     Stand der Dinge informierte und zur Eile antrieb. »Ihr werdet im
     Haus von Frau Heinrich benötigt. Dringend. Leo und ich müssen
     noch einmal zu Salma Schleißheimer, und das, obwohl mir Leo schon
     vor Kohldampf vergeht. Wir haben seit heute Morgen nichts mehr zwischen
     die Zähne bekommen.«
    »Ach, Gott, wie grausam«,
     spottete Stubenvoll. »Als ob dem alten Fresssack das bisschen Fasten
     nicht guttäte. Wir von der Spusi dürfen uns jeden Tag zerfransen
     und sollen am besten überall gleichzeitig sein. Ich hab schon zwei
     Leute für die Regenmandl-Villa abgestellt, dann schicke ich die eben
     weiter nach Luggau. Hier oben sind nur noch Werner und ich. Aber eins sag
     ich dir: Von jetzt an kann ich niemanden mehr entbehren, wir sind doch
     insgesamt nur zu viert.«
    »Nachdem du schon
     wieder eine so dicke Lippe riskierst, muss deine Genesung seit gestern ja
     mit großen Schritten voranschreiten«, spottete Feuersang, der
     mitgehört hatte.
    »Du sagst es. War doch
     nur so ein Dusel, der mich irgendwo erwischt hat. Mir ist zwar immer noch
     ein bisschen mulmig, aber ich denke, das Schlimmste ist vorbei. Dafür
     sieht Werner jetzt aus wie gekotzte Eierspeise.«
    »Okay, Oliver, ich will
     gar nicht mehr hören. Bis gleich.« Kotek legte auf.

 
    12
    SALMA SCHLEISSHEIMER
     erwartete die Kriminalbeamten bereits an der Haustür.
    »Chrissie hat von sich
     aus gesagt, sie möchte mit Ihnen sprechen«, erklärte sie.
     Die Verwunderung über die Bereitwilligkeit ihrer Tochter stand ihr
     ins Gesicht geschrieben.
    Kotek und Feuersang tauschten
     kurz einen Blick aus. »Kann ich währenddessen mit Ihnen oben im
     Büro reden?«, fragte Feuersang. »Ihre Tochter muss ja
     nicht alles mitanhören – in ihrem Zustand.«
    Salma Schleißheimer
     nickte. Sie führte die Besucher zunächst ins Wohnzimmer und ging
     dann mit Feuersang über die Freitreppe nach oben ins Büro. Am
     Wohnzimmertisch in einem Fauteuil saß ein etwa vierzehnjähriges
     rotblondes Mädchen. Es hielt sich so kerzengerade, als hätte es
     einen Stock verschluckt. Auch die Sommersprossen konnten nicht kaschieren,
     wie blass und blutleer sein Gesicht war.
    Melanie Kotek ging zu
     Chrissie, nahm ihre Hand und sagte mit viel Mitgefühl in der Stimme:
     »Mein Beileid.«
    »Danke. Woll…
     wollen Sie sich nicht setzen?«
    »Gern.« Kotek
     nahm Platz, wobei sie amüsiert die guten Manieren des Mädchens
     registrierte.
    Aber was hatte sie denn
     erwartet? Eine verhaltensgestörte, aggressive Göre?
    Sie ließ sich Zeit, hütete
     sich, mit der Tür ins Haus zu fallen. Ehe das Schweigen peinlich zu
     werden drohte, begann sie behutsam. »Chrissie, uns allen ist klar,
     dass es für ein Kind nichts Schrecklicheres gibt, als einen
     Elternteil zu verlieren. Niemand kann dir diesen Schmerz abnehmen. Aber du
     bist damit nicht allein. Deine Mutter ist bei dir. Sie wird dir in der
     ersten schlimmen Zeit beistehen.«
    »Ach ja? Wird sie das?«,
     sagte das Mädchen leise, und seine Augen füllten sich mit Tränen.
    »Natürlich wird
     sie, Chrissie«, zog Kotek geistesgegenwärtig den Fuß
     wieder aus dem Fettnäpfchen, in das sie augenscheinlich getreten war.
     »Es stimmt schon, nicht jede Mutter ist eine Glucke, aber wenn es
     ihren Kindern wirklich schlecht geht, dann sind Mütter zur Stelle
     – auch jene, die sich im Alltag vielleicht kein Bein für sie
     ausreißen.« Verärgert über den unnötigen Patzer
     hoffte sie, nun den richtigen Ton für die traumatisierte Jugendliche
     getroffen zu haben.
    »Ich hab mir immer gewünscht,
     dass Mam ein bisschen wie eine Glucke ist«, knüpfte Chrissie an
     den Vergleich an. »Oder wenigstens wie Oma. Ich habe die Mitschülerinnen
     nie verstehen können, die ständig über ihre besorgten Mütter
     motzen, die sie nicht so lassen, wie sie

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