Dohlenflug
sondern klar
und stark.
»Dauern dir die paar Jährchen,
die ich vielleicht noch zu leben habe, wirklich zu lang? Kannst du es
nicht erwarten, dass ich von selbst den Löffel abgebe? Musst du da
noch nachhelfen? Ihr seid doch finanziell bestens abgesichert … Du
und dein Bankert, den du Hans angehängt hast. Heb endlich ab, du Aas!«
Ein paar Sekunden vergingen,
ohne dass ein Wort zu hören war. Auf der gegenüberliegenden
Fahrbahn der A 10 hämmerten mehrere Pressluftbohrer. Das Teilstück
bei Kuchl bedurfte dringend der Sanierung, und die Anrainer bestanden außerdem
auf einen effektiveren Lärmschutz.
Dann war wieder die Häuslschmied
zu hören: »Aber dir geht’s ja nicht nur um das Haus, das
du Hans buchstäblich abgelutscht hast, und den Pflichtteil für
Julie. Das ist dir inzwischen zu wenig, viel zu wenig! Du willst mehr,
nicht wahr? Und vorhin bist du in mein Haus eingebrochen, weil du’s
aus mir rausprügeln wolltest, ehe du mich abgemurkst hättest.
Das, nach dem ihr alle giert, alle vier. Ist es nicht so? Mach endlich das
Maul auf! Ich weiß, dass du da bist und zuhörst!«
Wieder war eine Weile nichts
zu hören, bis die Anruferin neuerlich die Geduld verlor. »Gut.
Vor dieser Nacht wäre ich sogar bereit gewesen, dir ein Übereinkommen
vorzuschlagen, einen Deal, wie man heutzutage so schön sagt. Aber in
deiner ebenso schrankenlosen wie kurzsichtigen Gier hast du dir die Chance
darauf selbst vermasselt. Unter diesen Umständen kannst du darauf
warten, bis du schwarz wirst. Ich werde das Versteck des Horts nie
verraten! Nie, hörst du? Mein Wissen nehm ich mit ins Grab, so wahr
ich Amanda Häuslschmied heiße!«
An dieser Stelle brach die
Aufzeichnung ab.
Feuersang und Jacobi ließen
Kotek Zeit, das Gehörte zu verarbeiten.
»Ein Hort also«,
sagte sie schließlich. »Vielleicht gar der Nibelungenhort? Die
Alte spinnt doch. Erst diese Abgebrühtheit dem Einbrecher gegenüber
und dann diese Paranoia. Das passt doch nicht zusammen.«
»Vom Nibelungenhort war
ja nicht die Rede«, stellte Jacobi erwartungsgemäß fest.
»Und wenn jemand ganz allgemein von einem Hort, also von einem
Schatz spricht, hinter dem mehrere Leute her sind, muss dieser Jemand noch
lange nicht spinnen.«
»Warum wundert mich
dein Einspruch eigentlich nicht?« Aus den Augenwinkeln sah Kotek,
wie ihr Lebensmensch grinste, und sparte sich die Anmerkung, dass er ein
Romantiker sei, der auf Schlüsselinformationen reagierte wie der
Pawlow’sche Hund.
»Klar lag die Alte mit
der Vermutung gründlich daneben, Lotte Heinrich sei bei ihr
eingebrochen«, räumte er ein, »aber alles andere klang
doch recht einleuchtend. Julie Heinrich ist also die Tochter des
verstorbenen Hans Häuslschmied und wurde von diesem, ebenso wie Lotte
Heinrich selbst, im Testament bedacht. Das wissen wir jetzt definitiv.«
»Hm, ob Häuslschmied
das allerdings freiwillig getan hat oder ob das Rabenkind im
Erwachsenenalter den Spieß umgedreht und ihn mit der
Missbrauchsfrucht Julie unter Druck gesetzt hat, das können wir noch
nicht sagen«, versuchte Kotek seinen Optimismus zu dämpfen.
Aber ein Jacobi, der sich auf der Erfolgsspur wähnte, war nicht so
leicht zu bremsen.
»Du hast mir doch
gesagt, Lotte Heinrich habe den Vaterschaftstest machen lassen, um ein für
alle Mal klarzustellen, dass nicht ihr eigener Vater Julies Erzeuger ist.
Ich wette, sie hat gleichzeitig den tatsächlichen Vater ermitteln
lassen, um ihre Tochter für den Fall der Fälle abzusichern. Es dürfte
für sie kein Problem gewesen sein, geeignete DNA der in Frage
kommenden Erzeuger Julies zu besorgen. Das entsprechende Dokument liegt
wahrscheinlich bei einem Anwalt oder Notar. Ich glaube nicht, dass sie so
unvorsichtig war, es zu Hause aufzubewahren. Du wirst dir also einen
Gerichtsbeschluss herfaxen lassen und Einsicht nehmen. Und außerdem:
Warum nennst du Lotte Heinrich Rabenkind?«
Feuersang erklärte es
ihm: »Die Ermordete hieß bei den Klingit, Angehörigen
eines Indianerstamms im US-Staat Washington, Jechlidi, zu Deutsch
Rabenkind. Ein Schamane hat ihr den Namen gegeben. Die Namensgebung
beinhaltete auch einen Schutzzauber, der Unheil abwenden sollte –
hat zumindest die Zeugin Resi Neuhuber dem Stubi erzählt.«
»Dann hat der
Schutzzauber heute Nacht leider versagt«, merkte Jacobi bitter an.
Melanie Kotek versetzten die
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