Dohlenflug
Detail. Redl wusste auch ohne nähere Instruktionen, was von ihm
erwartet wurde. Seine Fragen beschränkten sich auf das Notwendigste,
und die Auskünfte Jacobis waren nicht weniger restriktiv: »Infos,
die Regenmandl und Simcits betreffen, erhältst du von Hans. Sollte er
etwas noch nicht wissen, findet er es auf Melanies Schreibtisch. Man hört
sich.«
Nachdem er aufgelegt hatte,
wirkte er nicht nur zufrieden, sondern regelrecht aufgekratzt, wie Kotek
mit einem Seitenblick feststellte.
Redl würde schon von der
Alm aus oder spätestens auf der Fahrt ins Tal Weider anrufen, um
nicht unnötige Zeit mit Recherche zu verlieren. Tempo war jetzt das
Allerwichtigste – nicht nur, weil man schon demnächst die
Medien im Nacken haben würde.
Wegen eines Baustellenstaus
hatten sie erst jetzt den Kreisverkehr Hofgastein-Süd passiert und
steuerten auf die Ausfahrt Schlössl/ Bergbahn-Parkplätze zu.
»Und? Brauchen Herr
Oberst eine Extraeinladung?«, fragte sie schnippisch, obwohl er
ihrer Bitte, was Regenmandl anlangte, entsprochen hatte.
Jacobi grinste schuldbewusst.
»Lenz hat’s
geschafft. Er hat Julie nicht nur gefunden, sondern sie auch dazu bewegen
können, eine Sachverhaltsdarstellung für die Zeit von Samstag
bis heute zu geben, die er auf Band aufgenommen hat. Die Kurzfassung: Das
Mädel ist über ein E-Mail, das von Schleißheimer zu kommen
schien, am Samstagmorgen aus dem Haus gelockt und auf dem Weg zur
Postbus-Haltestelle gekidnappt worden. Ein Golf hat auf der Landstraße
gehalten, eine mit Sturmmütze vermummte Person ist rausgesprungen,
hat Julie gepackt, ihr ein Tuch vors Gesicht gedrückt, und dann ist
sie bewusstlos geworden.«
»War die Person ein
Mann oder eine Frau?«, fragte Kotek.
Jacobi schüttelte den
Kopf. »Das kann sie nicht sagen. In dem Kofferraum eines Wagens ist
sie dann wieder zu sich gekommen, gefesselt und geknebelt. Sie muss wohl
sehr lange in dem geparkten Pkw gelegen haben, in dem es sehr heiß
war. Irgendwann öffnete der oder die Unbekannte dann den Kofferraum
und gab ihr Cola zu trinken, vermutlich mit Liquid Ecstasy versetzt,
wodurch sie abermals das Bewusstsein verlor und erst wieder in der Rettenwänd-Hütte
neben Schleißheimers Leiche zu sich kam. Sie war nun nicht mehr
gefesselt, dafür hielt sie in ihrer rechten Faust den Griff eines
noch blutigen Schlachtmessers. Die Person, die das alles arrangiert hatte,
war natürlich längst verschwunden.«
»Die Leiche soll laut
Pernauer zunächst zugedeckt gewesen sein. Demnach war es Julie, die
die Decke entfernt hat?«, überlegte Kotek laut.
Jacobi nickte. »Du
sagst es. Der Schock beim Anblick ihres ermordeten Sugardaddys hat sie wie
ein Vorschlaghammer getroffen. Aber entgegen dem Kalkül des
Kidnappers ist sie nicht in kopflose Panik verfallen, sondern hat sich
relativ rasch gefasst. Ihr Handy steckte noch in ihrer Gürteltasche,
was ihr nach dem Erlebten seltsam vorkam. Trotz der bizarren Situation
überprüfte sie es und entdeckte ein SMS an Schleißheimer,
von dem sie sicher ist, dass sie es nicht verfasst hatte: ›bin
etwas klamm. komm um fünfzehn uhr zur r-hütte! werde auch ganz
lieb sein. wie wär’s mit neuem handy?‹ Schneller, als
mancher Erwachsener es gecheckt hätte, begriff sie, dass ihr der Mord
in die Schuhe geschoben werden sollte.«
»Bei aller Ungebärdigkeit
scheint sie geistig sehr beweglich zu sein.«
»Jedenfalls verließ
sie den Tatort so schnell wie möglich, warf die Tatwaffe irgendwo ins
Farnkraut, stieg, in dem tragischen Irrtum befangen, sich niemandem
anvertrauen zu können, ins Tal ab und fuhr per Autostopp nach
Laderding. Von dort stieg sie noch am Abend ins Alpl auf und hat sich
seither in Regenmandls Hütte versteckt gehalten.«
»Aber warum hat sie
sich nicht wenigstens an ihre Mutter gewandt?«, warf Kotek ein.
»Ihr muss doch klar gewesen sein, was wir erst seit heut Morgen
wissen: dass Lotte Heinrich nicht die Mörderin von Fredl Schleißheimer
ist.«
Jacobi wiegte verneinend den
Kopf. »Julie hat zwar, wie du schon gesagt hast, eine rasche
Auffassungsgabe, ist aber trotz aller Lolita-Allüren noch ein Kind.
Wahrscheinlich hat sie sich sofort eine Teilschuld an den Ereignissen
gegeben und wegen der Begleitumstände die Konfrontation mit der
Mutter gescheut. Erst am Sonntagnachmittag hat sie die Isolation nicht
mehr ausgehalten und Chrissie
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