Dohlenflug
Bilder und Gobelins befanden sich mehrheitlich im
Originalzustand oder waren fachmännisch restauriert.
An die Knappenstube schloss
ganz hinten noch ein kleines Extra-Stüberl an, in das Schorsch
Grahammer den Schulfreund führte. Ein halber Liter Rotwein und zwei
Gläser standen bereits auf einem der beiden Tische.
»Ein slowenischer
Merlot, etwas ganz Exquisites.« Grahammer kannte die Vorlieben
Jacobis. »Also, Oskar, wo drückt der Schuh?«, fragte er
geradeheraus, nachdem sie Platz genommen hatten.
Auch sein Gegenüber
hatte nicht vor, lange um den heißen Brei herumzureden. »Hier
auf dem Land sprechen sich ungewöhnliche Ereignisse rasch herum,
deshalb verrate ich dir sicher weder Dienstgeheimnisse noch etwas Neues,
wenn ich dir sage, dass seit Samstag zwei Menschen in eurem Tal ermordet
worden sind.«
»Zwei?«
Grahammers Augen wurden so rund wie sein Gesicht. »Bisher weiß
ich eigentlich nur vom Mord an Fredl Schleißheimer, und der reicht
mir eigentlich schon.«
»Heute Nacht ist auch
noch Lotte Heinrich, die Heilpraktikerin, in ihrem Häuschen in Luggau
erstochen worden, vermutlich vom selben Täter«, klärte ihn
Jacobi auf. »Ein dritter Anschlag, der der Witwe Häuslschmied
galt, ist glücklicherweise fehlgeschlagen. Einzelheiten erspare ich
dir. Mich interessiert jetzt nur ein bestimmter Aspekt an allen drei
Kapitalverbrechen, die offensichtlich zusammenhängen.«
Er berichtete, was Amanda Häuslschmied
auf den Anrufbeantworter ihrer Intimfeindin Lotte Heinrich gesprochen
hatte und dass Letztere nichts mehr auf die Vorwürfe hatte entgegnen
können, weil sie zu diesem Zeitpunkt bereits eine Leiche gewesen war.
»Wahrscheinlich fragst
du dich jetzt, was die Erwähnung eines Schatzes mit dir zu tun haben
soll, Schorsch«, schloss er seine Ausführungen. »Ich werd’s
dir sagen: Schon als mir meine Leute das Band in aller Herrgottsfrühe
vorgespielt haben, sind mir ad hoc ganz spezielle Nachkriegsgerüchte
eingefallen, die sich zugegebenermaßen nicht nur auf die Hohen
Tauern beziehen. Ich weiß, meine Vermutung ist ziemlich schräg,
aber ich kann mich des Eindrucks einfach nicht erwehren, dass da was dran
sein könnte.«
»Du hast ja schon am
Telefon so eine Andeutung gemacht«, warf Grahammer ein. »Gastein
und Gold – das wäre ein zu komplexes Thema, als dass wir es
zwischen Tür und Angel erschöpfend behandeln könnten
–«
»Und deshalb hast du
das ›Weitmoser-Schlössl‹ als Treffpunkt ausgesucht,
nehme ich an?«, unterbrach ihn Jacobi seinerseits. »Aber wie
gesagt: Als die Häuslschmied einen Schatz erwähnte, habe ich
eigentlich weniger an das Edelmetall gedacht, das die Gasteiner Gewerken
aus den Tauern geholt haben, sondern eher an die Gerüchte, die heute
noch um verschwundenes Nazigold kursieren.«
»Je geringer der
Wahrheitsgehalt dieser Gerüchte ist, umso hartnäckiger halten
sie sich«, bestätigte der Lehrer lächelnd. »Einige
davon nehmen sogar Anleihen bei den Sagen über das Tauerngold, was
ihren Wahrheitsgehalt noch zweifelhafter werden lässt. Eine
ernsthafte Überprüfung würden jedenfalls nur ganz wenige
verdienen.«
»Aber gerade diese
wenigen interessieren mich«, warf Jacobi erwartungsvoll ein. Sein
Einschub war so plötzlich gekommen, dass sein ehemaliger Schulfreund
einige Sekunden brauchte, um seine Gedanken zu ordnen und in Worte zu
kleiden.
»Nun ja, man könnte
sie vielleicht in drei Kategorien unterteilen«, begann er dann zögernd.
»Erstens: in Gerüchte über NS-Gold, das von Nazigrößen
oder deren Paladinen am Ende des Zweiten Weltkriegs in den Tauern
versteckt worden sein soll. Zweitens: in das landläufige Gemunkel,
jene Laufburschen an der Quelle hätten für sich selbst Preziosen
zur Seite geschafft. Und drittens: in Erzählungen über
Gold-Nottransporte aus den Balkan-Satellitenstaaten. Eben dieses Gold
sollte vor den Russen in Sicherheit gebracht, also den US-Amerikanern
übergeben werden, ist aber bei denen nicht immer angekommen.«
»Hans Häuslschmied,
der verstorbene Gatte von Amanda, war bei der SS. War er –«
»Er war Scharführer,
kein Stabsoffizier«, sagte Grahammer, der eine derartige Frage schon
erwartet hatte. »Was aber nicht heißt, dass eine einschlägige
Information ihm nicht zu Ohren hätte kommen können. Bei
Kriegsende war er nicht im Anhalte- und Entnazifizierungslager
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