Dohlenflug
Salzburg-Glasenbach interniert, sondern bereits als U-Boot hierher zurückgekehrt
und versteckte sich wie andere SSler auch auf Almhütten. Natürlich
wusste er, dass Reichsfeldmarschall Hermann Göring und andere
Obernazis nur wenige Monate zuvor zwei Mal in Bad Gastein zu Gast gewesen
waren, was nach dem Krieg sofort dementsprechende Gerüchte gedeihen
ließ.«
»Und woher weißt
du, dass Göring damals in Gastein war?«, fragte Jacobi
skeptisch.
»Meine Schwiegermutter,
eine Südtirolerin, hat in den letzten Kriegsjahren als Servierfräulein
im ›Hotel Bellevue‹ gearbeitet, in dem Göring
wiederholt abgestiegen war. Als sie ihn einmal mit ›Grüß
Gott, Herr Reichsfeldmarschall!‹ grüßte, schnauzte er
sie an, ob sie denn nicht wisse, wie man im Großdeutschen Reich
korrekt zu grüßen habe. Sie antwortete, sie wisse es sehr wohl,
aber als Tirolerin sei sie es eben gewohnt, mit ›Grüß
Gott!‹ zu grüßen. Überraschenderweise ließ
ihr Göring das durchgehen.«
»Eine nette Anekdote«,
meinte Jacobi. »Leider hilft sie mir nicht weiter bei der Überlegung,
ob der Reichsfeldmarschall sozusagen als Käpt’n Flint für
uns in Frage kommt.«
Grahammer legte die
Fingerspitzen zum Zeichen seiner eigenen Ratlosigkeit vor den geschürzten
Lippen aneinander.
»Göring war neben
seinen vielen anderen Funktionen auch Reichsjägermeister und hielt
sich gern im Lungau auf. Es war sein bevorzugtes Jagdrevier«, begann
er dann wieder. »Dass er die Aufenthalte auch gelegentlich zur Kur
im nahen Gastein nutzte, kann bei seinen nicht unbeträchtlichen
gesundheitlichen Problemen kaum überraschen. Trotzdem: Hätte er
vorgehabt, einen Notgroschen zu verstecken, wären meiner Meinung nach
weder das Salzkammergut noch die Hohen Tauern für ihn erste Wahl
gewesen, sondern der Lungau, den er wie seine Westentasche kannte.«
»Das ist deine persönliche
Meinung, Schorsch«, hielt Jacobi fest.
Grahammer nickte. »Und
ich bleibe auch dabei, obwohl noch vor zwei Jahrzehnten Bekannte meines
Vaters Stein und Bein darauf geschworen haben, dass Stabsoffiziere von Göring
im November vierundvierzig, unmittelbar vor dem ersten ergiebigen
Schneefall, mit einem Lastwagen ins Naßfeld gefahren sein sollen.«
Jacobi schüttelte
zweifelnd den Kopf. »Ich glaube nicht an ein Depot der ersten
Nazi-Garnitur. Gerade der Hinweis auf das Naßfeld, das ehemalige
Zentrum des Gasteiner Bergbaus, riecht mir viel zu sehr nach dem Mythos
Tauerngold und der Lust am Fabulieren.«
»Aber solche Depots hat
es durchaus gegeben, zum Beispiel in den Salzbergwerken von Hallein und
Hallstatt«, wandte Grahammer halbherzig ein. Doch der Terrier Jacobi
hatte bereits Witterung aufgenommen und war, wie meistens in solchen Fällen,
nur schwer von der Fährte abzubringen, der er nachging.
»Wenn überhaupt,
dann halte ich deine dritte Variante für überlegenswert. Die mit
den Goldreserven der Nazi-Marionetten aus dem pannonischen und illyrischen
Raum, die in West-Sektoren geschafft werden sollten. Wenn ich mich richtig
erinnere, gab es da mehrere dubiose Fälle.«
»Mehrere? Ich weiß
definitiv nur von einem solchen Fall, der Anlass zu Spekulationen gab und
daher denkbar wäre.«
»Nämlich welcher?«
»Am sechzehnten Mai fünfundvierzig,
also eine Woche nach der deutschen Kapitulation, verließ ein
Goldtransport der ungarischen Nationalbank, getarnt als stinknormaler
Lastenzug, die Stadt Györ mit Zielbahnhof Rosenheim im deutschen
US-Sektor. Russische Einheiten, die damals noch in der Steiermark standen,
ließen die mit Spanplatten beladenen Waggons anstandslos durch, und
der Zug erreichte ohne Zwischenfälle den Bahnhof Bischofshofen. Wie
sich später herausstellte, wurde dort ein Waggon abgehängt.
Wohin er verschwand, ist nie aufgeklärt worden.«
»Ein ganzer Waggon soll
spurlos verschwunden sein? Das klingt aber schon sehr nach Landser-Latein.«
»Das Drunter und Drüber,
das am Ende des Zweiten Weltkriegs und am Beginn der Besatzungszeit
herrschte, ist eine traurige, aber unbestrittene Tatsache«,
verwahrte sich Grahammer gegen Jacobis bewusst geäußerte
Zweifel. »Außerdem war das Gold sozusagen inkognito unterwegs,
niemand durfte offiziell darüber Bescheid wissen. Noch heute
berichten amerikanische Quellen darüber ziemlich diffus und widersprüchlich.
Angeblich wollte ein Vier-Sterne-General das Gold für sich
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