Doktor Pascal - 20
setzte, verdunkelten Tränen ihm den Blick. Damit war besiegelt, daß er wie ein alt gewordenes einsames Tier sterben würde, ohne einen Kuß und ohne eine Freundeshand. Dann kamen ihm Zweifel: Tat er recht daran, Clotilde in Paris zu lassen, in diesem schlechten Milieu, wo er sie von Abscheulichkeiten jeder Art umgeben wußte?
Jeden Morgen gegen neun Uhr brachte der Briefträger die Briefe und Zeitungen auf die Souleiade; und Pascal pflegte ihn, wenn er an Clotilde schrieb, abzupassen, damit er ihm den Brief übergeben und ganz sicher sein konnte, daß seine Korrespondenz nicht abgefangen wurde. An diesem Morgen nun, als er hinuntergegangen war, um dem Briefträger den soeben geschriebenen Brief zu geben, erhielt er zu seiner Überraschung schon wieder einen Brief von Clotilde, obgleich es noch gar nicht der Tag dafür war. Dennoch ließ er den seinen abgehen. Dann stieg er wieder die Treppe hinauf, setzte sich an seinen Tisch und riß den Umschlag auf.
Und gleich nach den ersten Zeilen war er zutiefst ergriffen und wie betäubt. Clotilde schrieb ihm, sie sei im zweiten Monat schwanger. Sie habe nur deshalb so lange gezögert, ihm diese Nachricht mitzuteilen, weil sie selber absolute Gewißheit haben wollte. Jetzt könne sie sich nicht mehr täuschen, die Empfängnis sei sicher in den letzten Augusttagen erfolgt, in jener glücklichen Nacht, da sie ihm nach ihrem Bettelgang von Tür zu Tür das königliche Festmahl der Jugend bereitete. Hatten sie nicht bei einer ihrer Umarmungen die höchste himmlische Wollust der Zeugung empfunden? Nach dem ersten Monat, gleich bei ihrer Ankunft in Paris, habe sie Zweifel gehegt und an eine Verzögerung, an eine Unpäßlichkeit geglaubt, die bei der Aufregung und dem Kummer über ihre Trennung durchaus erklärlich war. Doch da sie auch im zweiten Monat noch nichts gesehen habe, habe sie einige Tage gewartet, und heute sei sie nun ihrer Schwangerschaft gewiß, die im übrigen durch alle Symptome bestätigt werde. Der Brief war kurz und berichtete nur die Tatsache; er war jedoch von glühender Freude erfüllt, von einer Aufwallung unendlicher Liebe, geschrieben in dem sehnlichen Wunsch, unverzüglich zurückzukehren.
Fassungslos las Pascal in der Furcht, nicht richtig begriffen zu haben, den Brief noch einmal von vorn. Ein Kind! Wie hatte er sich am Tage der Abreise beim trostlosen Stürmen des Mistrals verachtet, daß er es nicht zu zeugen vermocht hatte, und doch war es schon da, Clotilde nahm es mit sich fort, als er in der Ferne den Zug durch die flache Ebene fliehen sah! Ach, dies war das wahre Werk, das einzig gute, das einzig lebendige, das Werk, das ihn mit Glück und Stolz erfüllte. Seine Arbeiten, seine Ängste vor der Vererbung schwanden dahin. Das Kind würde kommen, und was es auch war, es wäre die Fortdauer, das vererbte und ewig fortbestehende Leben, das andere Ich! Er war darüber bis ins Innerste erschüttert, ein Schauer der Rührung überkam ihn. Er lachte, redete ganz laut und küßte wie wahnsinnig den Brief.
Doch das Geräusch von Schritten ließ ihn etwas ruhiger werden. Er wandte den Kopf und sah Martine.
»Herr Doktor Ramond ist unten.«
»Ah! Er soll heraufkommen! Er soll heraufkommen!«
Wiederum kam Glück ins Haus. Schon an der Tür rief Ramond fröhlich:
»Sieg! Meister, ich bringe Ihnen Ihr Geld, zwar nicht alles, aber doch eine hübsche Summe!«
Und er schilderte den Sachverhalt; es war ein unvorhergesehener Glücksfall, den sein Schwiegervater, Herr Lévêque, ans Licht gebracht hatte. Die Empfangsbestätigungen über die hundertzwanzigtausend Francs, die Pascal zum persönlichen Gläubiger von Grandguillot machten, waren zu nichts nütze, da dieser ja zahlungsunfähig war. Die Rettung lag in der Vollmacht, die der Doktor ihm eines Tages auf sein Ersuchen ausgestellt hatte zu dem Zweck, sein ganzes Geld oder einen Teil desselben in Hypotheken anzulegen. Da der Name des Bevollmächtigten nicht darin eingesetzt worden war, hatte der Notar, wie es zuweilen praktiziert wird, einen seiner Schreiber als Strohmann genommen, und so wurden achtzigtausend Francs wiedergefunden, die durch die Vermittlung eines braven Mannes, der mit den Geldangelegenheiten seines Prinzipals nicht das mindeste zu schaffen hatte, in guten Hypotheken angelegt waren. Wenn Pascal gehandelt hätte und zur Staatsanwaltschaft gegangen wäre, hätte er das längst schon geklärt. Kurz und gut, viertausend Francs sicherer Jahreszinsen flossen in seine Tasche zurück.
Pascal
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