Doktor Proktors Pupspulver
Menge der Kinder einen Weg ins Klassenzimmer. Alle versuchten, sie aufzuhalten, und zerrten an ihr und fragten, wann sie wieder Pupspulver kaufen konnten, schließlich war morgen der 17. Mai!
Sie saß an ihrem Pult, als Frau Strobe das Klassenzimmer betrat, sich die Brille fast bis ans äußerste Ende der Nasenspitze schob und auf das leere Pult blickte.
»Lise, ist dir bekannt, ob Herr Bulle heute krank ist?« Lise schüttelte nur den Kopf.
Frau Strobe durchbohrte sie mit ihrem Blick: »Stimmt vielleicht irgendetwas nicht, Lise?«
Am liebsten hätte Lise das verneint, aber sie wusste, dass Frau Strobes Blick tief in den Schädel von Schulkindern dringen konnte, in ihre Gehirne, genau an die Stelle, wo die Gedanken saßen. Also konnte Lise genauso gut gleich sagen, was los war:
»Bulle sitzt im Gefängnis.«
Ein Ächzen durchlief die Klasse und Frau Strobe zog die eine Augenbraue hoch, derart hoch, dass sie fast in ihrer Frisur verschwand:
»Könntest du das freundlicherweise wiederholen, Lise?«
»Ja, Frau Strobe. Bulle sitzt im Gefängnis. Genauer gesagt im Totenmannsloch.«
Jetzt senkte Frau Strobe beide Augenbrauen tief und zog sie zusammen, sodass es aussah, als hätte sie einen Schnurrbart an der Stirn: »Sonst konnte man dem, was du sagst, immer Glauben schenken. Aber offensichtlich warst du zu viel mit diesem Bulle zusammen.«
»Ich sage aber die Wahrheit!«, rief Lise.
»Schluss mit dem Unsinn!«, schnaufte Frau Strobe. »Bulle sitzt nicht im Gefängnis. Wir lesen da weiter, wo wir aufgehört haben. Schlagt eure Bücher auf, Seite siebzehn.«
»Im Gefängnis!«, sagte Lise.
»Nein!«, sagte Frau Strobe.
»Doch!«, sagte Lise.
»Nein«, sagte eine Stimme. »Nicht mehr.«
Alle Augen wandten sich zur Klassentür. Und da stand Bulle. Pitschnass, die Haarspitzen etwas angesengt, aber sonst ganz der gute alte Bulle.
»Wieder mal im Trinkbrunnen gebadet, Herr Bulle?«, fragte Frau Strobe spöttisch.
»Nur ein kleines Handgemenge mit einer mittelgroßen Anakonda im Abwasserkanal, Frau Strobe. Und das haben wir mit ein paar Explosionen schnell in den Griff bekommen.«
Ein Raunen durchlief das Klassenzimmer. Und wurde von Frau Strobes Flache-Hand-aufs-Katheter-Schlag jäh unterbrochen.
»Genug Unsinn für heute. An deinen Platz, Herr Bulle.«
Bulle tat, wie ihm geheißen, doch sobald er saß, lehnte er sich zu Lise hinüber.
»Ich hab deinen Brief gekriegt«, flüsterte er. »Tut mir leid, dass ich nicht früher rausgekommen bin, ich hatte noch einen unfreiwilligen Aufenthalt im Verdauungssystem einer Würgeschlange. Wie ist die Lage?«
»Truls und Trym haben gestern Abend bei Doktor Proktor eingebrochen«, flüsterte Lise. »Und haben beide Gläser mit Pulver mitgenommen, soweit ich gesehen habe.«
»Gesehen? Du hast einfach zugesehen?«
»Jepp«, sagte Lise. »Um zu kontrollieren, ob auch alles nach Plan lief.«
»Nach Plan? Was für ein Plan?«
»Och, nur so ein kleiner Notfallplan«, sagte Lise. »Nicht weiter der Rede wert.«
In demselben Augenblick saßen fünf ernst dreinblickende Männer hinter einem langen Tisch im städtischen Patentamt. Sie blickten Herrn Thrane an, der vor ihnen stand und das fantastische Pupsonautenpulver beschrieb, das er erfunden hatte und das jetzt in einem Einmachglas vor ihnen auf dem Tisch stand.
»Schneller als sämtliche Rennwagen und Raketen«, sagte Herr Thrane. »Besserer und billigerer Treibstoff als eine Billion Fässer Benzin«, sagte Herr Thrane. »Manövriert Menschen zu Mond, Mars und möglicherweise Merkur.«
Während Herr Thrane sich in seinen Beschreibungen erging, betrachtete der Vorsitzende – der allerernsteste der ernsten fünf Männer – ihn etwas genauer. Kam ihm an dieser dicken, birnenförmigen Gestalt nicht etwas bekannt vor? Doch, doch sie erinnerte ihn ganz deutlich an einen Jungen in dem Viertel, wo er vor über dreißig Jahren aufgewachsen war. Das Viertel hieß Hovseter. Dieser Junge hatte immer neue Haustiere bekommen, wenn die vorigen durchdrehten, eingingen oder flohen. Undeutlich erinnerte er sich an eine mongolische Wasserratte. Und an eine niedliche kleine Schlange vom Amazonas oder so. Sollte das etwa der Junge von damals sein?
Als Herr Thrane fertig war, räusperte sich der Vorsitzende.
»Das ist ja alles gut und schön, Herr Thrane. Nur können wir Ihnen hier bei der Patentaufsicht kein Patent erteilen, wenn Sie nicht wissen, woraus dieses sogenannte...äh, Pupsonautenpulver eigentlich besteht. Als Vorsitzender
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