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Dokument1

Dokument1

Titel: Dokument1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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war nur lose aufgelegt, und dem dumpfen Laut des Zusammenpralls folgte nun ein helles Prasseln, als die Einzelteile des Puzzles auf den Fußboden regneten. In diesem Augenblick bereute ich endgültig, daß ich nicht umgehend nach Hause gefahren war.
    Michael Cunningham hatte sich halb vom offenen Kühlschränk abgewendet, um seinen Sohn zu betrachten, in der einen Hand einen Granny-Smith-Apfel, in der anderen eine Sechserpackung Joghurt.
    »Das soll wohl ein Witz sein«, sagte er, und dabei fiel mir absurderweise auf, daß in seinem Kinnbart, den er sich in der Protestphase gegen den Vietnam-Krieg hatte wachsen lassen, eine Menge grauer Strähnen zu sehen waren. »Arnie, das war ein Witz, nicht wahr? Sag, daß es ein Witz ist.«
    Regina kam nun auf ihren Sohn zu, sehr groß, nahezu aristokratisch und sehr aufgebracht.
    Ein Blick auf Arnies Gesicht genügte ihr, und sie wußte, daß es kein Scherz war. »Du kannst dir keinen Wagen kaufen«, sagte sie. »Wovon redest du überhaupt? Du weißt sehr genau, daß du erst siebzehn bist.«
    Arnies Blick wanderte zwischen seinem Vater und seiner Mutter hin und her. Sein Gesicht nahm einen ausgeprägten bockbeinigen Zug an, den ich bisher bei ihm noch nie entdeckt hatte. Schade, dachte ich, daß er nicht auch in der Schule solche Grimassen schnitt. Dann hätten die Jungs in der Lehrwerkstatt vielleicht mehr Respekt vor ihm gehabt.
    »Da befindet ihr euch aber in einem Irrtum«, sagte er.
    »Natürlich kann ich mir einen Wagen kaufen. Ich könnte ihn nicht finanzieren, aber wenn ich ihn bar bezahle, ist alles okay.
    Selbstverständlich kann ich mit siebzehn nicht ohne weiteres einen Wagen auf meinen Namen zulassen. Dazu brauche ich eure Erlaubnis. Aber davon war gar nicht die Rede.«
    Beide Elternteile fixierten ihn nun mit erstaunten, zugleich ungläubigen und - was mir am meisten auf den Magen schlug -
    zunehmend zornigen Blicken. Trotz ihrer liberalen Einstellung und ihres wortgewaltigen Engagements für ausgebeutete Land-arbeiter, mißhandelte Ehefrauen, unverheiratete Mütter und so weiter, hatten sie die Erziehung ihres Sohnes immer autoritär gehandhabt. Und Arnie hatte sich immer bevormunden lassen.
    »Ich sehe nicht ein, was dich berechtigt, in einem solchen Ton mit deiner Mutter zu reden«, sagte Michael. Er stellte den Sechserpack Joghurt zurück und behielt nur den Granny Smith in der Hand, als er die Tür des Eisschranks wieder schloß. »Du bist zu jung, einen Wagen zu besitzen.«
    »Dennis hat auch einen«, erwiderte Amie prompt.
    »He! Himmel! Es ist schon spät!« rief ich. »Ich müßte schon längst zu Hause sein. Ich müßte…«
    »Wie sich Dennis’ Eltern in so einem Fall verhalten, hat mit der Entscheidung deiner Eltern nicht das geringste zu tun«, sagte Regina Cunningham. Ich hatte sie noch nie mit einer so kalten Stimme reden gehört. Noch nie! »Und du hattest kein Recht, einen solchen Schritt zu unternehmen, ohne vorher deinen Vater und mich zu fragen…«
    »Euch zu fragen?« brüllte Arnie plötzlich los. Er kippte seine Milch um. Ich sah, wie die Adern an seinem Hals anschwollen, blaue, pulsierende Stricke unter der Haut.
    Regina wich einen Schritt zurück. Ihre Kinnlade fiel herunter. Ich bin bereit, jede Wette einzugehen, daß sie von ihrem mickrigen Sprößling in ihrem ganzen Leben noch nie so laute Töne vernommen hatte. Michael stand da wie vom Donner gerührt. Sie bekamen nun eine Kostprobe dessen, was ich bereits seit Stunden geahnt oder gespürt hatte: Aus unerklärlichen Gründen war Arnie plötzlich auf etwas gestoßen, das er wirklich begehrte. Und gnade Gott allen, die ihm dabei im Weg standen.
    »Euch erst fragen! Ich habe euch bisher bei jedem Scheiß gefragt, bei jeder noch so unbedeutenden Sache! Und jedesmal wurde daraus eine Ausschußsitzung, und wenn es sich um etwas handelte, was ich nicht haben oder tun wollte, wurde ich stets mit zwei zu eins Stimmen abgeschmettert! Aber diesmal gibt’s keinen Familienrat! Ich habe den Wagen gekauft, und damit… bastal«.
    »Von basta kann überhaupt nicht die Rede sein«, entgegnete Regina. Ihre Lippen hatten erheblich an Volumen verloren, waren nur noch zwei dünne Striche, und seltsamerweise (oder ganz und gar nicht seltsamerweise) sah sie nun nicht mehr aristokratisch aus, sondern eher, trotz oder gerade wegen der Jeans, wie ein Double der Fürstin von Monaco. Deswegen hatte auch Michael im Augenblick nichts zu sagen. Er sah genauso verwirrt und unglücklich aus, wie ich mich fühlte,

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