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Dokument1

Dokument1

Titel: Dokument1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Unknown
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rücksichtslosen Offenheit, die mich zuweilen in Verlegenheit brachte, »daß Eltern nichts anderes sind als alt-kluge Kinder? Daß sie erst von ihren Kindern dazu gezwungen werden müssen, erwachsen zu werden, und daß sie sich mit Händen und Füßen dagegen wehren?«
    Ich schüttelte den Kopf, weil ich nicht wußte, was ich darauf sagen sollte.
    »Ich sag7 dir, was ich darüber denke«, fuhr er fort. Wir waren bereits in Sichtweite der Arbeitsstelle; der Bauwagen der Gebrüder Carson war nur noch zwei Serpentinen von uns entfernt, der Verkehr um diese Zeit auf der Autobahn ruhig, fast schläfrig, der Himmel gelb geflammt wie ein reifer Pfirsich. »Ich glaube, daß Eltern den Sinn ihrer erzieherischen Gewalt teilweise darin sehen, ihre Kinder umzubringen.«
    »Das klingt überzeugend«, sagte ich. »Meine Eltern sind in diesem Punkt sehr einfallsreich. Heute nacht schlich meine Mutter mit einem Kopfkissen in mein Zimmer und versuchte, mich damit zu ersticken. Vorgestern war es Daddy, der meine Schwester und mich mit einem Schrau-benzieher erstechen wollte und uns stundenlang im Haus herumjagte.« Das sollte natürlich ein Witz sein, aber ob Regina und Michael es auch so aufgefaßt hätten, wären sie jetzt Zeuge unseres Gesprächs gewesen, wagte ich zu bezweifeln.
    »Ich weiß, wie beknackt einem das zuerst vorkommt«, sagte Arnie unbeirrt, »aber es gibt viele Dinge, die einem zunächst bestußt vorkommen, bis man ernsthaft darüber nachdenkt. Zum Beispiel der Penisneid, der Ödipuskonflikt, das Leichentuch von Turin.«
    »Das hört sich immer noch an wie ein Haufen Pferdemist«, sagte ich. »Du hattest Krach mit deinen Eltern, sonst nichts.«
    »Ich halte trotzdem an meiner Theorie fest«, erwiderte Arnie nachdenklich. »Ich möchte ihnen gar nicht unterstellen, daß sie wissen, was sie tun. Sie sind sich ihrer Motive gar nicht bewußt. Und weißt du auch, warum?«
    »Sag es mir.«
    »Weil Eltern in dem ersten Kind, das sie bekommen, schon ihren Grabstein sehen.«
    »Weißt du was, Arnie?«
    »Was?«
    »Ich glaube, das ist eine verdammt grausame Definition von Elternglück«, sagte ich, und wir brächen beide in lautes Gelächter aus.
    »So hatte ich es allerdings nicht gemeint«, sagte er.
    Wir fuhren auf den Parkplatz, und ich schaltete den Motor ab. Dann blieben wir noch eine Weile im Wagen sitzen.
    »Ich sagte ihnen, daß ich aus den Vorbereitungskursen für das College aussteigen werde«, berichtete er mir. »Ich sagte ihnen, ich würde mich statt dessen für die B.V. anmelden.«
    B.V. waren berufsvorbereitende Maßnahmen. Die gleichen Kurse, die auch in den Jugendstrafanstalten abgehalten wurden, nur daß diese Jungs selbstverständlich abends nicht nach Hause gehen durften. Sie wurden gewissermaßen zwangs-weise auf die Freiheit vorbereitet.
    »Arnie«, begann ich, ein wenig verunsichert, wie ich fortfahren sollte. Daß so ein ernsthaftes Zerwürfnis zwischen Eltern und Kindern quasi über Nacht aus dem Nichts entstehen konnte, warf mich völlig aus der Bahn. »Arnie, du bist immer noch minderjährig. Sie müssen dein Ausbildungsprogramm genehmigen…«
    »Sicher, sicher«, erwiderte Arnie und lächelte humorlos. In diesem kalten Morgendämmerlicht sah er älter und zugleich viel, viel jünger aus… wie ein zynisches Baby oder so. »Sie können dank ihrer erzieherischen Gewalt mein ganzes Ausbildungsprogramm noch ein Jahr lang blockieren, wenn sie das wollen, und mir ihre eigenen Vorstellungen auf zwingen. Sie können mich sogar für die Hauswirtschaftslehre anmelden und für die Näh- und Strickkurse, wenn sie das wollen. Das Gesetz erlaubt es ihnen. Aber kein Gesetz kann mich dazu zwingen, die Kurse auch zu besuchen, die sie für mich auswählen.«
    Das überzeugte mich vollends - er war nicht mehr der alte.
    Und wie plötzlich das alles gekommen war! Wie konnte es nur geschehen, daß ihm binnen weniger Stunden ein so alter Blech-eimer von Wagen so viel bedeutete? Diese Frage beschäftigte mich an den folgenden Tagen immer wieder, und ich beleuchtete sie von allen Seiten, wie es vermutlich allen Menschen ergeht, die Kummer empfinden über einen Verlust. Als Arnie seinen Eltern sagte, er sei entschlossen, sich das zu nehmen, was er haben wollte, war es sein voller Ernst gewesen. Und er hatte sie genau an der Stelle getroffen, wo sie die höchsten Erwartungen in ihn setzten, und er hatte es mit einer so rücksichtslosen Kaltschnäuzigkeit getan, daß mir die Spucke wegblieb. Vermutlich hätte er sich mit

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