Dokument1
wirklich tun oder sagen, wenn er davon erfuhr?
Mein Kopf schmerzte von den vielen Fragen, und ich dachte, daß es vielleicht ganz gut war, wenn Leigh für eine Weile fortging.
Wie sie schon einmal selbst über ihre Eltern gesagt hatte - es war sicherer für sie.
Am Freitag, dem neunundzwanzigsten - dem letzten Werktag des alten Jahres -, rief ich den Verein der Kriegsveteranen in Libertyville an und erkundigte mich nach dem Geschäftsführer.
Ich erfuhr den Namen, Richard McCandless, vom Hausmeister des Gebäudes, der mir auch eine Telefonnummer nannte. Die Nummer erwies sich als die von Libertyvilles »ältestem« Möbel-geschäft, das einem gewissen David Emerson gehörte. Ich wurde gebeten, einen Moment zu warten, und dann meldete sich McCandless mit einer tiefen, rauhen Baßstimme, die nach einem zähen Sechziger klang - als hätten General Patton und der Eigentümer der Stimme sich Schulter an Schulter quer durch Deutschland nach Berlin gekämpft.
»McCandless.«
»Mr. McCandless, mein Name ist Dennis Guilder. Im August dieses Jahres haben Sie ein militärisches Begräbnis für einen Mann namens Roland LeBay veranstaltet…«
»Ein Freund?«
»Nein, nur ein sehr oberflächlicher Bekannter; aber…«
»Dann brauche ich auf Gefühle ja keine Rücksicht zu nehmen«, fiel mir McCandless mit seiner knarrenden Stimme ins Wort. »LeBay war in meinen Augen ein Stinktier, und wenn es nach mir gegangen wäre, hätte der Verein der Kriegsveteranen nicht einen Finger krumm gemacht, um ihn unter die Erde zu bringen. Er ist nämlich schon 1970 aus dem Verein ausgetreten.
Und wenn er nicht ausgetreten wäre, hätten wir ihn gefeuert.
Dieser Mann war der streitsüchtigste Bastard, der je gelebt hat.«
»Tatsächlich?«
»Und wie! Er fing eine Diskussion an und blies sie zu einer Prügelei auf. Man konnte mit dem Hundesohn nicht pokern, und trinken konnte man mit ihm erst recht nicht. Erstens, weil man beim Trinken mit ihm nicht Schritt halten konnte, und zweitens, weil er vom Trinken bösartig wurde. Und bis dahin dauerte es nie lange. Ein verrückter Bastard war er… Wer bist du eigentlich, Junge?«
Einen Augenblick lang war ich versucht, Emily Dickinson zu zitieren: Ich bin ein Niemand! Und wer bist du?
»Ein Freund hat LeBay kurz vor dessen Tod den Wagen abgekauft…«
»Schande! Doch nicht diesen 57er?«
»Tatsächlich war es ein 58er…«
»Ja, ja, ein 57er oder 58er, rot und weiß. Das war das einzige auf der Welt, an dem er hing. Behandelte ihn wie eine Frau.
Wegen diesem Wagen is”t er aus dem Veteranenclub ausgetreten, wußtest du das?«
»Nein«, erwiderte ich. »Was ist denn passiert?«
»Ach, das sind uralte Geschichten. Ich würde dich damit nur langweilen. Aber jedesmal, wenn ich an diesen Hundesohn LeBay denke, sehe ich rot. Ich trage immer noch die Narben an den Händen. Im Zweiten Weltkrieg habe ich drei Jahre meines Lebens Onkel Sam geopfert und dafür nicht einmal ein Verwundetenabzeichen bekommen, obwohl ich fast die ganze Zeit in vorderster Linie im Einsatz war. Ich hüpfte von einer dieser kleinen Scheißhaus-Inseln im Südpazifik zur anderen.
Ich habe mit fünfzig anderen Jungs den Banzai-Angriff auf Guadalcanal abgewehrt - zwei Millionen Japse, vollgepumpt mit Aufputschmitteln, kommen heulend auf uns zugerast, mit diesen Schwertern fuchtelnd, die sie aus den Maxwell-Kaffeebüchsen hergestellt haben -, und ich bekomme nicht eine Schramme ab. Ich spürte zwar, wie ein paar Kugeln haarscharf an mir vorbeipfiffen, und kurz bevor wir den Angriff stopp-ten, wurden einem Kameraden neben mir zu Ehren des Kai-sers von Japan die Eingeweide umgerührt; aber das einzige Mal, daß ich im Pazifik mein eigenes Blut gesehen habe, war morgens, wenn ich mich beim Rasieren schnitt. Dann…«
McCandless lachte.
»Scheiß was drauf, es geht wieder los. Meine Frau sagt, eines Tages werde ich den Mund noch mal so weit aufreißen, daß ich selbst hineinfalle. Wie war doch gleich wieder dein Name?«
»Dennis Guilder.«
»Okay, Dennis, ich hab dir deine Zeit gestohlen, und nun darfst du mir meine stehlen. Was wolltest du von mir wissen?«
»Wie ich vorhin schon sagte, kaufte mein Freund den Wagen und richtete ihn wieder her… machte so was wie ein Prunkstück daraus.«
»Ja, genau wie LeBay«, erwiderte McCandless, und mein Mund wurde trocken. »Er liebte diesen verdammten Schlitten, das muß man ihm lassen. Seine Frau war ihm egal - weißt du, was mit ihr passiert ist?«
»Ja«, erwiderte
Weitere Kostenlose Bücher