Dokument1
herauszuzerren und zu verprügeln. Ich konnte mich schon unter den Bogenlampen des Parkplatzes, die gerade angegangen waren, auf meinen lädierten Beinen hilflos herumhüpfen sehen, während Arnie, dem ich die ganzen Jahre seit dem Kindergarten das Leben gerettet hatte, mir die Seele aus dem Leib drosch. Er rannte, den Mund in einer Weise verzerrt, wie ich es schon einmal gesehen hatte - doch nicht in seinem Gesicht - es war jetzt LeBays Gesicht.
Er hielt nicht an meiner Wagentür an, sondern rannte vorbei.
Ich drehte mich um, und da sah ich Christine.
Ich öffnete den Wagenschlag und versuchte auszusteigen, während ich mich mit beiden Händen an der Dachleiste festhielt. Die Kälte machte meine Finger sofort gefühllos.
»Nein, Dennis!« rief Leigh.
Ich stand auf den Füßen, als er Christines Fahrertür aufriß.
»Arnie!« rief ich. »He, Mann!«
Sein Kopf schnellte in die Höhe. Seine Augen waren wie blankpolierte glitzernde Knöpfe. Ein Speichelfaden rann ihm aus dem Mundwinkel. Christines Kühlergrill schien ebenfalls die Zähne zu fletschen.
Er hob beide Fäuste und schüttelte sie drohend in meine Richtung. »Du Scheißer!« Seine Stimme klang schrill und brü-
chig. »Nimm sie doch! Du verdienst sie! Sie ist Shit! Ihr seid beide Shit! Habt ruhig euren Spaß - aber viel Zeit habt ihr nicht!«
Hinter den Schaufensterscheiben des Kentucky Fried Chik-ken und des chinesischen Restaurants nebenan drängten sich die Gäste.
»Arnie! Laß uns doch darüber reden, Mann…«
Er sprang in seinen Wagen und knallte die Tür zu. Christines Motor heulte auf, und ihre Scheinwerfer gingen an -
die gleißenden weißen Augen meiner Alpträume, die mich aufzuspießen schienen, wie Stecknadeln einen Schmetterling. Darüber, hinter der Windschutzscheibe, war Arnies schreckliches Gesicht, das Gesicht des Teufels, erfüllt vom Übel der Sünde. Dieses Gesicht, haßerfüllt und verdammt zugleich, sucht mich seither regelmäßig in meinen Träumen heim. Dann war dieses Gesicht plötzlich ausgelöscht, und an seine Stelle trat ein grinsender Totenkopf.
Leigh stieß einen hohen durchdringenden Schrei aus. Sie hatte sich auch in ihrem Sitz gedreht, also wußte ich, daß es nicht nur meine Einbildung war. Sie hatte den Totenkopf auch bemerkt.
Christine sprang brüllend vorwärts, während ihre Hinterreifen Schneewolken aufwirbelten. Sie sprang nicht auf den Duster los, sondern auf mich. Ich glaube, er wollte mich zwischen seinem und meinem Wagen zerquetschen. Lediglich mein noch nicht verheiltes linkes Bein rettete mich, es gab plötzlich nach, und ich fiel in den Duster zurück, landete mit der rechten Hüfte auf dem Lenkrad und betä-
tigte die Hupe.
Ein kalter Luftzug streifte mein Gesicht. Christines hellrote Flanke raste einen knappen Meter von mir entfernt vorbei.
Sie jagte durch die Einfahrt des Parkplatzes hinaus auf den JFK Drive, ohne das Tempo zu vermindern und mit schlin-gerndem Heck. Dann war sie, immer noch beschleunigend, verschwunden.
Ich sah im Schnee das frische Zickzack-Muster ihres Rei-fenprofils. Sie hatte meine offenstehende Wagentür nur um Zentimeter verfehlt.
Leigh weinte. Ich zog mein linkes Bein mit den Händen in den Wagen, warf dje Tür zu und hielt Leigh fest. Ihre Arme umschlangen mich mit panikartiger Heftigkeit. »Es…
es war nicht…« -
»Pssst, Leigh. Ist schon gut. Denk nicht mehr daran.«
»Das war nicht Arnie, der den Wagen fuhr! Es war ein Toter! Ein Toter!«
»Es war LeBay«, erwiderte ich, und nun, da es passiert war, trat eine unheimliche Ruhe an die Stelle meiner Aufgeregtheit, meiner zitternden Erregung, die ich eigentlich hätte empfinden müssen - zusammen mit einem Schuldgefühl, von meinem besten Freund mit dessen Freundin ertappt worden zu sein.
»Das war er. Leigh. Du hast soeben Roland D. LeBay kennengelernt.«
Sie klammerte sich an mich und weinte sich Angst, Entsetzen und Schock aus der Seele. Ich war froh, daß sie bei mir war.
Mein linkes Bein pochte dumpf. Ich blickte in den Rückspiegel und sah die Parklücke, wo Christine gestanden hatte. Nun, da es geschehen war, erschien mir jede andere Schlußfolgerung unmöglich. Der Friede der letzten zwei Wochen, die schlichte Freude, Leigh an meiner Seite zu wissen - das alles erschien mir nun als etwas Unnatürliches, etwas Unechtes - so falsch wie Hitlers Einfall in Polen und der Blitzkrieg der Wehrmacht gegen Frankreich.
Und ich begann das Ende der Dinge vorauszusehen, wie es sein würde. Sie blickte mit
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